Reaktivität

Wenn etwas persönlich genommen wird, dann ist das immer das Ego, bzw. Ego-Anteile. Von „außen“ kommt ein Ereignis, etwas im „Inneren“ reagiert mit irgendwelchen Gedanken, Emotionen oder Gefühlen. Diese innere Reaktion ist IMMER das Ego.

Wenn die Fähigkeit vorhanden ist, Gedanken, Emotionen und Gefühle zu observieren, dann ist man nicht mehr mit ihnen identisch, sondern kann sie als Bewusstseinsinhalt erkennen und gewahren. Dann besteht auch die Möglichkeit, zuzusehen, was innen passiert, anstatt einfach nur blind reagieren zu müssen.

Gestern gab es eine recht heftige Reaktion von außen, worauf sich die hier vorhandenen Ego-Anteile veranlasst sahen, zu reagieren. Zuerst kam Bauchdrücken auf, dann Unbehagen, dann Schmerz und Zorn – und dann wurde gesehen, dass das exakt die gleiche Reaktion ist, wie die Ursache dessen, auf das reagiert wurde. Aktion triggert Reaktion, triggert Re-Reaktion, triggert Re-Re-Reaktion

Diese Reaktivität auf „Außen„- und „Innen„-Reize ist immer etwas persönliches. Das, auf was reagiert wird, muss aber nicht zwangsläufig etwas „Äußeres“ sein, es kann sich auch um scheinbar „eigene Unfähigkeit“ handeln. Wenn zB ein volles Wasserglas vom Körper aufgrund einer fahrigen Bewegung umgestoßen wird, dann wird man sofort eine innere Stimme hören, die Selbstkritik äußert, gefolgt von Schuldgefühlen, Reue und Vorsatz der Besserung. Das ist meist mehr oder weniger der gleiche Ablauf.

Eine andere Art von Reaktivität besteht darin, dass man etwas unbequemes oder schmerzhaftes fühlt und sich sagt: „das will ich nie wieder fühlen„. Das ändert aber an dem Gefühl gar nichts, das kommt nach wie vor hoch. Aber wenn diese Abwehr öfter wiederholt wird, dann entwickelt sich ein Mechanismus, der verhindert, dass die Aufmerksamkeit auf dieses Gefühl gerichtet wird. Die Aufmerksamkeit wird dann absichtlich und mit Energieaufwand von diesem Gefühl weg gehalten. Das bindet einen Teil der im Körper vorhandenen Energie.

Um das später wieder auflösen zu können, gibt es zwei Strategien. Die eine besteht darin, dass man versucht, das absichtlich zu konfrontieren und eine psychische Reaktion auszulösen, um die Blockade aufzulösen. Dabei ist es egal, ob der Versuch von außen kommt oder von innen. Kommt er von außen, wird sich das Ego als Opfer fühlen und versuchen, sich zu wehren. Im anderen Fall wird jeder weitere Versuch entweder abgeblockt werden – oder das Ego wird sich „das Auflösen der Blockade“ als „eigenes Projekt“ auf die Fahne schreiben und sich selbst gegenüber damit brüsten, „was es jetzt schon wieder tolles getan hat und noch tun wird„. Hier kämpft das Ego scheinbar gegen sich selbst – und verfestigt damit noch seine Macht.

Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit: Sobald das Selbst/Bewusstsein sich so weit vom Ego gelöst hat, dass es in der Lage ist, die Ego-Funktionen abgelöst zu gewahren und sich nicht mehr damit identifizieren muss, reicht es aus, einfach nur alles Hochkommende mit Aufmerksamkeit zu betrachten und nicht zu verurteilen und wegzuschieben.

Alles, was hoch kommt, darf da sein, wird aufmerksam gesehen und damit gewürdigt und erlöst. Denn genau das ist es ja, was diese Anteile wollen – sie wollen gesehen und gewürdigt werden. Sobald das stattgefunden hat – und wenn es auch erst nach 50 Jahren ist – sind sie erlöst und treten nicht mehr auf.

In meinen Augen und aufgrund dessen, was hier erlebt wird, ist es besser, einfach nur das anzuschauen, was hoch kommt, es zu würdigen und sanft erlösen zu lassen. Jeder erlöste Block wird weitere Blöcke dazu bringen, nach oben zu kommen und sich zu zeigen. Das Wichtigste dabei ist, auf jede Selbstkritik und Kritik an anderen zu verzichten und stattdessen passiv zu verzeihen und endgültig loszulassen.

Das kann man nicht „machen„, das geschieht einfach, als Akt des Loslassens, wenn gesehen wurde, wie befreiend das ist. Letztlich ist es ein Aufgeben des Gedächtnisses an diesen Vorfall, ein Aufgeben des Haderns damit, eine endgültige Kapitulation „des verletzten ich“ in Bezug auf diesen Vorfall.

Letztendlich nutzt das Verzeihen nicht dem scheinbaren „Täter„, sondern NUR einem selbst – ist also zutiefst „egoistisch„. Warum nutzt es nur einem selbst? Weil nur „ich“ darunter leide, nicht vergeben zu können oder zu wollen. „Der Andere“ hat das vielleicht längst alles vergessen oder verdrängt – aber „ich“ nicht. Und genau dieses „nicht vergessen können/wollen“ bedeutet, am Schmerz festzuhalten – und das stärkt wiederum das „verletzte ich/Ego„.

Ich habe zB meinen Vater mein Leben lang gehasst, weil er ein echtes Arschloch war, das immer nur blindwütig zuschlagen konnte. Und ich hätte mir nie vorstellen können, ihm irgendwann zu verzeihen. Aber er ist mittlerweile in einer körperlichen und geistigen Verfassung, die man nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen würde.

Das und das Sehen, dass es sich, genau wie hier, nur um eine Spiegelung von ICH SELBST handelt, hat dazu geführt, dass es zum Verzeihen kam, was wiederum dazu führte, dass ich mir selbst verzeihen konnte, gehasst zu haben. Das war so unendlich befreiend, dass ich das nie wieder vergessen kann – und mittlerweile genau darin die stärkste Erlösens-Funktion sehe. Noch viel wirksamer, als die Fremd-Verzeihung, ist die Selbst-Verzeihung.

Denn letztlich sind wir als Menschen nur Spiegelungen des EINEN und können nichts für das, was sich „in unserem Leben“ ereignet. „Einer“ (eine Hautzelle) schlägt, weil er so konstruiert ist und die Lebens-Energie so durch ihn agiert – und „ein anderer“ (eine andere Hautzelle) wird geschlagen und kann sich vielleicht, wie es hier war, aufgrund einer Schlaghemmung nicht einmal wehren. Auch nicht gegen schlagende Schul-„Kameraden„.

Jeder, der noch mit seinem Schmerz identifiziert ist, wird hier sofort innerlich protestieren – und damit seine Blockade, sich selbst gegenüber, offensichtlich machen. Denn, wer mit dem Schmerz identifiziert ist, ist auch mit dem verletzten ich/Ego identifiziert – und dieses kann nicht verzeihen – weil ihm all das ja „von einem Anderen“ „absichtlich“ angetan wurde – es wurde „persönlich“ verletzt und sagt sich: „Der ist Schuld und soll dafür bezahlen.Das ist eine Lüge. Es gibt nur EINEN, der gleichzeitig „schuldiger Täter“ und „unschuldiges Opfer“ IST – und dieser EINE wird gewöhnlich „Gott„, „Selbst“ oder „Quelle“ genannt – das ist das wahre ICH.

Das Ego schöpft seine Macht daraus, dass es die auftretenden Phänomene trennt in „das bin ich“ und „der Rest sind die Anderen und die Welt„. Es spielt das Spiel: „teile und herrsche„. Tatsächlich BIN ICH ALLES und NICHTS – und das Ego/ich ist nur der Schatten oder die Spiegelung des wahren ICH.

Das nutzt aber alles nichts – solange noch Rest-Ego da ist und mit wenigen Ausnahmen haben alle ein Rest-Ego – muss darauf geachtet werden, was in einem vorgeht, denn ansonsten kann es immer wieder zu Reaktivität kommen: „Der da ist schuld“ oder zu sich selbst „Du Depp, pass doch auf!“ Das ist natürlich auch hier der Fall.

Reaktivität basiert praktisch immer auf entsprechender Gedankentätigkeit, woran man das erkennen kann. Gedankentätigkeit kommt auf und man schaut hin: „Aha, schon wieder Verstand/Ego – was sagt es denn jetzt?“ Damit sieht man das Denken und identifiziert sich nicht mehr damit.

Hier bin ich im Nachteil, denn der Verstand schweigt meistens. So muss sehr auf die Gelegenheiten geachtet werden, wo doch wieder Gedankentätigkeit aufkommt, denn das Abwürgen, was problemlos möglich ist, verzögert nur das Erkennen der Ego-Strategien.

Besser ist es also, alles durchlaufen zu lassen und aufmerksam dabei zu bleiben, was da gedacht und gefühlt wird – mit dem gleichzeitigen klaren Wissen: „Das bin ich nicht, das wird nur gesehen.“ Und dann, immer wieder verzeihen, loslassen und vergessen.

Wenn genügend Schrott aus dem System entfernt wurde und man als das Bewusstsein ruht, kann es dazu kommen, dass Stille, Frieden und Glückseligkeit erlebt werden. Warum? Weil die dauer-schmerzhafte Nabelschau verschwunden ist: „ich wurde verletzt von … oh je, wie tut das weh…“ – was ohne Zweifel eine feste Bindung an das kleine „ich“ darstellt. Denn, solange geglaubt wird, „dieser Körper/Psyche bin ich„, kann nicht gleichzeitig klar gesehen werden: „Dieses Bewusstsein BIN ICH„.

Wer wurde verletzt? Dieser Körper und diese Psyche. Was bin ich wirklich? Das Bewusstsein, in dem der Verletzer, das Verletzen und der Verletzte einfach nur gewahrt wurde. Das bedeutet: ICH, das Bewusstsein kann niemals verletzt werden – ICH kann mich nur fälschlich mit dem Verletzer oder dem Verletzten identifizieren. Aber das ist nur ein Label, das ICH mir umbinde und damit zu „ich“ werde – was erkannt und korrigiert werden kann – und zwar immer wieder, solange das auftritt.

Leben besteht aus immerwährendem hinschauen, erkennen, akzeptieren, loslassen, vergeben und vergessen…

Dass man wirklich vergeben hat, merkt man daran, dass es sich gut anfühlt, wenn man dem Anderen innerlich Glück wünscht. Anfangs konnte ich mich nur mit Mühe dazu überwinden, meinen Vater zu besuchen. Mittlerweile fühle ich mich wohl damit, weil erkannt wurde, dass vergeben und „den Anderen“ gut zu behandeln, mir selbst gut tut – weil letztlich ICH SELBST „der Andere“ BIN.