Anleitung zum Erkennen des reinen Bewusstseins

Ich habe eine schöne, klare englischsprachige Anleitung zur Erkennung und Wieder-Erkennung des reinen Bewusstseins gefunden, die aus mehreren Zitaten tibetischer Autoren besteht. Die Anleitung wurde von mir ins Deutsche übersetzt.

Eigener Hinweis: Der Begriff „Geist“ (englisch Mind) wird in der Beschreibung kontextabhängig sowohl für reines Bewusstsein (rig-pa), als auch Verstand verwendet. Unter dem Begriff „Verstand“ oder auch „Ego-Verstand“ versteht man das mit Gedanken gefüllte reine Bewusstsein, das sich auf die Gedanken konzentriert und sich mit ihnen identifiziert und an sie glaubt. Enthält das reine Bewusstsein keine Gedanken oder ist es nur auf sich selbst gerichtet, dann gibt es keinen Verstand, bzw. dann ist der Verstand identisch mit dem reinen Bewusstsein.

Vollständige Anleitung für Dzogchen AtiYoga

„Der Satz: ‚Entspanne dich in den grundlegenden Raum jenseits von Anfang und Ende‚, führt in die Natur des Geistes/Verstandes ein. Wenn du ihn erst einmal erkannt hast, musst du nicht auf ein weiteres Mal in der Zukunft warten, denn er beginnt und endet nicht. Er ist völlig endlos und völlig anfangslos.“ Tulku Urgyen

„Dieses ursprünglich reine Wachsein, ist die leere Eigenschaft der Natur unseres Geistes/Verstandes. In dem Moment, in dem wir unsere Natur erkennen, sehen wir keinerlei „Ding“ (Objekt) in ihr. Diese Natur ist bereits rein und vollkommen. Das wird ursprüngliche Reinheit (primordial purity) genannt. Untrennbar davon ist eine Erkenntnisqualität: Wir sind zur gleichen Zeit wissend. Dies ist die spontane Präsenz. Diese beiden Aspekte sind untrennbar.“ Tulku Urgyen

Direkte Einführung in das reine Bewusstsein (tibetisch: rig-pa):

Sitze in einer bequemen Haltung in einem hellen und hellen Raum oder im Freien. Schließe deine Augen.

Betrachte die Farbe an den geschlossenen Augenlidern. Es erscheint normalerweise wie eine orange Farbe mit bräunlichen oder grauen Schattierungen. Beobachte nur die Farbe, die vor oder in deiner Wahrnehmung erscheint.

Jetzt verschiebe die Aufmerksamkeit von der Farbe auf das, was die Farbe sieht oder in dem sie erscheint. Betrachte das „beobachtende Bewusstsein„, das weiß, dass die Farben vorhanden sind. Lenke die Aufmerksamkeit vom beobachteten Objekt auf die beobachtende Subjekt-Seite.

Es gibt eine mündliche Anweisung zu diesem Vorgang:
„Es ist, als würden deine Augen nach hinten blicken und nicht nach vorne, wie sie es normalerweise tun. Du schaust mit deinen Augen nach vorne=außen UND gleichzeitig nach hinten=innen. Versuche es nicht zu stark, sonst machst du einen Fehler. „Schaue“ einfach innerlich sanft mit deiner Aufmerksamkeit zurück (in Richtung Hinterkopf)…“ Mingyur Rinpoche

„Betrachte die leere Natur deines eigenen Bewusstseins, das beobachtet. Es gibt einen leeren Raum des Bewusstseins, der sich selbst kennt, aber nicht als eine Sache oder ein Ding mit Form oder Substanz. Der Weg, dies zu tun, ist einfach, die Aufmerksamkeit ein wenig nach innen zu richten, nicht tief in das Innere zu blicken, sondern den Fokus auf eine sehr leichte und entspannte Weise von außen nach innen zu drehen.“ Tsoknyi Rinpoche

Während du das leere, beobachtende Bewusstsein bist, beachte erneut die Farben an den Augenlidern. Verändern die Farben dein leeres Bewusstsein oder erscheinen sie einfach nur wie Wolken, die in einem unveränderlichen Himmel erscheinen? Diese Analogie gilt auch für Gedanken, Bilder, Selbstempfindungen, emotionale Energien, Gefühle und sonstige Wahrnehmungen, die alle im leeren Raum des unveränderlichen Bewusstseins erscheinen.

Nimm die Aufmerksamkeit immer wieder von den Farben oder irgendwelchen inneren Phänomenen weg, so dass die Aufmerksamkeit und das leere, beobachtende Bewusstsein den exakt gleichen, untrennbaren Raum einnehmen.

Es ist möglich, die leere, durchsichtige Natur des eigenen beobachtenden Bewusstseins zu bemerken, das sich vertieft, wenn man sich nicht mit der Aufmerksamkeit auf andere mentale oder Wahrnehmungs-Inhalte konzentriert, sondern nur  das leere Bewusstsein selbst betrachtet.

„Ohne Innen und ohne Außen – absolute Offenheit. Wie ist diese „Offenheit„? Sie ist leer, wach, hell und einfach…“ Tsoknyi Rinpoche

Was auch immer den Sinnen oder dem Geist einfällt, lasse einfach alles so, wie es ist und entspanne dich in deinen ursprünglichen Zustand, lebendigen und erwachten Bewusstseins. Dein gesteigertes Bewusstsein wird deine Handlungen im Leben mit großer Präzision leiten. Es gibt keine weiteren Anweisungen.

Hier ist ein Zitat aus einem uralten, fundamentalen „Great Perfection Tantra“ namens „The Heaped Jewels„. Es fasst die einzigartige Methode der Dzogchen-Praxis vollständig zusammen.

Wenn jemand ohne Konzentration im natürlichen Zustand ruht, manifestiert sich das Verständnis im Verstand dieses Individuums, ohne dass er all die Worte lernen muss, mit denen der Verstand diese Bedeutungen versteht. Während dieses Verständnis im Geist/Verstand auftaucht, wird das Nicht-Manifeste und alle Sinneserscheinungen, die an sich noch keine Begriffe enthalten, als von Natur aus rein erkannt.“  Longchenpa

[Eigener Hinweis: Im vorherigen Zitat von Longchenpa wird deutlich, was hier auch erfahren wird, dass Bewusstsein „selbst-verstehend“ ist oder „selbst-erleuchtend„. Man kann das auch „natürliche Intuition“ nennen oder „direkter Zugang zu sämtlichem Wissen des Universums„. Bewusstsein IST der innere Meister/Guru seiner Selbst. Zu glauben, dass eine „externe Kraft“ – ein Zweites – notwendig ist, was es gar nicht gibt, ist gleichbedeutend, wie einer Kasperle-Puppe zu sagen, „geh aufrechter„. Das sind verdrehte Vorstellungen. Wenn zusätzliche Informationen notwendig werden, zB weil das Bewusstsein irgendwo hängt, dann tauchen die einfach auf – entweder in der „inneren Wahrnehmung“ als intuitive Erkenntnis oder in der „äußeren Wahrnehmung“ zB als Text auf einer Webseite – was beides identisch ist. Bei Castaneda wird so etwas „Omen“ genannt. Genau so wird das hier ständig erfahren. Man darf nur nicht zwischen „innen“ und „außen“ unterscheiden oder denken, dass da „jemand etwas tut„, denn es gibt da keinen Unterschied – ALLES er-scheint im leeren Bewusstseinsraum. divo]

„Der Geist/Verstand ist inaktiv im Zustand des reinen Bewusstseins, es gibt kein Richten des Verstandes. Man sucht nicht nach irgendetwas; man sucht nicht nach nichts. Man lässt den Verstand einfach in seinem eigenen natürlichen Zustand ruhen. Die leere, klare und ungehinderte Natur des Geistes kann erlebt werden, wenn wir uns in einem unkontrollierten Zustand des reinen Bewusstseins ohne Ablenkung erholen können, ohne dass der Funke des Bewusstseins verloren geht.“ Kalu Rinpoche

Im täglichen Leben: „Es ist leicht, reines Bewusstsein wieder zu erkennen. Man muss nur aufhören zu denken und es ist sofort da. Es gibt nicht viel zu tun.“ Mingyur Rinpoche

Es klar zu sehen, bedeutet es zu SEIN. Wenn du deine Augen schließt, kannst du einen inneren Bewusstseinsraum bemerken, in dem verschiedene mentale Ereignisse als Gedanken und Bilder erscheinen und verschwinden. Betrachte dies für ein paar Minuten.

Wenn du dich in diesem Bewusstsein ausruhst, den inneren Verkehr in diesem Raum wahrnimmst, verlangsamen sich die mentalen Ereignisse und der Geist wird schließlich ruhiger und klarer. An diesem Punkt verlagere die Aufmerksamkeit von den abnehmenden, mentalen Ereignissen und spüre einfach den leeren, bewussten Raum, in dem alle Erfahrungen erscheinen. Dieser leere, bewusste Raum ist der Geist des klaren Lichts; Dein unveränderlicher Buddha Geist, der immer perfekt ist.

Es ist der geistige Verkehr und die Wahrnehmungen, die in ihm als Gedanken erscheinen, die ein „Ich„, eine „Welt“ und die „Geschichte dieses Ich“ beschreiben, „meine“ Geschichte. Aber der bewusste kognitive Raum, der all diese Gedanken-Erscheinungen beherbergt, ist von allem, was in ihm erscheint, vollkommen unberührt.

Du siehst also, dass dein perfekter Buddha-Geist, der leere Geist des klaren (Bewusstseins-) Lichts, niemals Studien, Lehren, Reinigungen oder Praktiken brauchte. Er ändert sich nie, nur der Inhalt ändert sich ständig.

Darauf deutet der Begriff „sofortige Erleuchtung“ hin. Denke nicht, dass mehr benötigt wird, das wäre nur der nächste Gedanke/Inhalt.

[Englischsprachige Quelle]


Das, was oben beschrieben wird, ist im Prinzip das gleiche, wie das, was hier seit Jahren stattfindet – nur dass hier offenbar immer wieder an der Stille festgehalten wurde. Das Bewusstsein darf aber nur frei fließend in sich selbst ruhen, in seiner eigenen, leeren, reinen, erkennenden Natur – und nicht auf irgend einem Wahrnehmungsobjekt (Gedanke, Gefühl, Emotion, Sinneswahrnehmung).

Denn, wenn es auf einem Objekt ruht oder dort konzentriert ist, dann WIRD es zu einem Objekt (eingefalteter Zustand=ich-Bewusstsein). Ruht es rein nur auf seiner eigenen Subjektivität, dann IST es reine Subjektivität (ausgefalteter Zustand, universelles Bewusstsein, ICH-Bewusstsein).

Das hört sich abenteuerlich an – aber es ist exakt meine Erfahrung, wie man im Beitrag „Grenzenlose Freiheit“ sehen kann. Das ist so, weil das Bewusstsein keinerlei eigene Eigenschaften hat – es ist unsichtbar, unmanifestiert, ungeboren, nicht-dinglich – und kann daher jede Eigenschaft widerspiegeln.

Das gilt übrigens auch für den Nada (innerer Ton) – sobald man soweit ist, dass man nicht mehr ständig in Gedanken/Gefühlen/Emotionen/Wahrnehmungen (Inhalt) versackt, muss man die Aufmerksamkeit vom Nada bzw. dem Meditations- oder Konzentrations-Objekt lösen und auf den leeren Bewusstseins-Raum richten. Stille ist nichts anderes, als der erfahrene Leerheits-Aspekt des leeren, reinen Bewusstseins. Aber auch an dieser darf nicht festgehalten werden – sonst ver-dinglicht man sie. Die Aufmerksamkeit muss immer und jederzeit mühelos, unkonzentriert und hellwach-fließend auf sich selbst liegen, auf dem reinen Bewusstsein, auf dem Raum des leeren Bewusstseins. Das ist extrem wichtig!

Alles andere folgt daraus – unter anderem die „Reinigung der Psyche“ – sie ist keine „Vorbedingung„, sondern eine Folge von lebendiger Selbst-Erkenntnis. Ein großer Teil der inneren Unreinheiten wird offenbar bereits mit dem Erwachen bereinigt – zumindest war das hier so, denn vor dem November 2014 war hier ein ständiges, chaotisches, inneres Stimmengewirr. Nach dem Erwachen war hier alles still – und zwar ohne, dass daran herumgefummelt wurde – denn das wurde erst einige Zeit später entdeckt, in der Rückschau. Das Erwachen scheint viele der alten, mentalen/emotionalen Verkrustungen zu beseitigen. Was dann noch übrig ist, lässt man einfach passiv hochkommen, nimmt es zur Kenntnis und erlöst es damit – denn es will ja nur gesehen werden… Das ist alles, was nötig ist.

Die Gesamtheit des hier Beschriebenen kann in einem Satz zusammengefasst werden: Erkenne das reine, leere Bewusstsein, bleib darin, identifiziere dich damit, SEI ES – und alles andere wird vom Bewusstsein selbst im Hintergrund erledigt.

Das richtet sich an das reine Bewusstsein selbst – und nicht an Körper/Ego/Verstand, denn das ist nur relativer, abhängiger Inhalt IM reinen Bewusstsein.

Das reine Bewusstsein steht zum Körper/Ego/Verstand im exakt gleichen Verhältnis, wie die führende Hand zu einer Kasperle-Puppe.

Der blau gefärbte Satz wird einem hier lesenden Ego-Verstand nicht gefallen und dazu führen, dass er sich gedanklich/emotional dagegen zur Wehr setzt. Genau daran ist er dann erkennbar.