Auch die andere Backe hinhalten

Mit der Aussage: „Wenn dich einer schlägt, halte ihm auch die andere Backe hin„, hat Jesus, soweit ich das sehen kann, nicht etwa gemeint, dass man sich nicht verteidigen soll. Das wäre ja völlig idiotisch und möglicherweise auch selbstmörderisch. Es geht dabei um die „inneren Feinde„, die Grundlagen des inneren Reagierens.

Bei den meisten Menschen gibt es massenhaft Altlasten, unbewältigte, schmerzhafte Ereignisse und ihre Folgen aus Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter. Viele verbergen solche Ereignisse vor sich selbst oder beschönigen sie – um den inneren Schmerz nicht erneut fühlen zu müssen. Darum nenne ich sie „Kellerleichen„.

Aber dadurch, dass diese Dinge im Keller verbuddelt werden, wird natürlich gar nichts gelöst. Man muss den Schmerz aushalten, ihn sogar willkommen heißen – und durch ihn hindurch gehen. Das kann pro Vorfall relativ kurz sein – der Schmerz zeigt sich, wird gesehen und löst sich auf. Bei sehr starken Schmerzen kann das auch länger dauern und muss dann mehrmals wiederholt werden.

Was hat das mit Selbsterkenntnis zu tun, wenn man doch weiß, dass das „Ich/Ego“ nur eine Illusion ist? Naja – auch ein Auto ist absolut gesehen eine Illusion – aber wenn ein Mensch über die Straße geht, ohne zu schauen und direkt vor ein schnell fahrendes Auto läuft – dann wird er keine Selbsterkenntnis mehr betreiben können.

Gleiches gilt für die Kellerleichen und das Ego. Sie sind absolut betrachtet nicht existent – aber relativ gesehen sehr wohl. Und sie bilden potentielle Hemmnisse, die verhindern können, dass Selbsterkenntnis sich entfaltet. Das bedeutet nicht, dass man an dem alten Zeug herumlaborieren muss – sondern dass man so oft und so lange wie möglich die STILLE aufsucht und von dort aus die potentiellen Hemmnisse und Identifikationen hochkommen lässt, beobachtet und damit erlöst.

Und wenn Jesus sagt, „halte auch die andere Backe hin„, meint er, aus meiner Sicht, dass man sich von den inneren Schmerzen und ihren Verursachern schlagen lassen soll, damit sie sich auflösen können, was die Hindernisse beseitigt. Das erhöht den Energiepegel und reinigt und klärt die Gewässer des Ozeans, was ermöglicht, genauer und feiner zu SEHEN und zu FÜHLEN. Die Buddhisten sagen dazu: „den Spiegel polieren„.

Das sind aber keine Aktionen, die einer durchführen muss – das muss erlaubt und befürwortet werden. Es muss in der Selbsterkenntnis auch gar nichts neues erreicht werden – sondern das bereits vorhandene gesehen und erkannt werden. Relativ betrachtet hocken wir alle bis zur Unterkante Unterlippe im wunderbar kühlen und labenden Wasser (des Bewusstseinsozeans) – und schreien wie am Spieß nach einem erlösenden Trunk.

Tatsächlich ist es noch anders – ICH BIN der BEWUSSTSEINSOZEAN und gewahre die durstigen Schreihälse. Das gilt natürlich für ALLE – denn wir ALLE sind zusammen ICH BIN – jedes relative Subjekt und Objekt ist eine manifeste Facette davon.