Der Geschichtenerzähler

Heute besuchte ich wieder einmal den Verwandten, der in einer geschlossenen Abteilung eines Pflegeheimes lebt. Er hat Parkinson und mittlerweile auch ziemlich starke Demenz. Zwar erkannte er mich aber er weiß nicht, wo er ist, glaubt, dass er an seinem Arbeitsplatz lebt.

Er fabulierte quer durch sein Leben, über mehrer Jahrzehnte hinweg in einem Satz. Dann sagte er noch, dass er bereits seit mehreren Monaten an dieser Arbeitsstelle ist und immer noch keinen Lohn bekommen hat. „Das ist übrigens ein Super-Arbeitsplatz“, meinte er, „denn ich muss hier gar nichts arbeiten. Die haben mich hier nur herumgeführt und seitdem sitze ich hier nur herum und lese Zeitung oder schlafe. Außerdem gibt es gutes Essen und Trinken.“

Als er das so erzählte, fiel mir auf, wie sein Gehirn, die zufällig hoch kommenden Erinnerungsbrocken irgendwie zusammenfügte und versuchte, eine irgendwie durchgängige und logische Geschichte zu erzählen. Und dann kam mir hoch, dass das ja alle machen – ich habe das auch immer gemacht, mein ganzes Leben lang. Jeder Satz, der da heraus kommt, ist ein Teil einer Geschichte.

Irgend etwas passiert „innen“ oder „außen“ und das Ding schnattert los und erzählt sich eine Geschichte. Egal, um was es sich handelt. Es darf nichts einfach so passieren – immer muss ein Geschichtchen dazu erzählt werden. Genauso geht es dem Parkinson-Kranken. Er ist es gewohnt, dass er sich unterhält und wenn er keine durchgehende Erinnerung hat, dann kombiniert er eben nicht zusammen gehörende Erinnerungsbrocken, um einfach etwas zu sagen.

Mir tut dieser Mensch so leid aber ich kann ihm nicht helfen. Ich würde mich auch neben ihn setzen und einfach still seine Hand zu halten. Aber das kann und will er nicht, er schnattert einfach immerzu weiter.