Innen oder außen?

Der gestrige Beitrag über Achtsamkeit als Ersatz für echte Bewusstheit, die sich ihrer eigenen Subjektivität ununterbrochen bewusst ist, hat mir klar gezeigt, wo Selbsterkenntnis anfängt und wo nicht. Es ist für mich völlig eindeutig, worum es bei der Selbst-Erkenntnis geht: um die Erkenntnis des eigenen Selbst – und dieses Selbst ist keinesfalls außen, sondern innen. Daher hat die Wirklichkeit eine niedrige Qualität, wenn der Fokus der Aufmerksamkeit außen liegt. Liegt der Fokus dagegen innen – wobei hier auch die Außenwelt aufmerksam beobachtet wird – dann hat die Wirklichkeit eine hohe Qualität.

Genau hier ist der entscheidende Unterschied zwischen Normalmensch und Sucher – zwischen Nicht-Selbsterkenntnis und Selbst-Erkenntnis. Es geht keinesfalls um die Außenwelt bei der Selbst-Erkenntnis oder dass man dort bewusster und glücklicher ist oder besser funktioniert. In Bezug auf die Außenwelt sind das alles aber sehr honorige und wertvolle Ziele.

Selbsterkenntnis hat, eindeutig und schon vom Namen her, die Erkenntnis des eigenen Selbst zum Ziel. Wir müssen dabei zu dem inneren Wesen werden, das schon rudimentär vorhanden ist, es weiter entwickeln und uns im Absoluten verankern und in es hineinwachsen. Daher kann echte Selbsterkenntnis niemals den Fokus auf die Außenwelt legen. Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Mensch, der Selbsterkenntnis betreibt, handlungsunfähig wäre oder wie ein Träumer herumläuft. Es bedeutet, dass der Haupt-Schwerpunkt der Aufmerksamkeit innen liegt, und ein kleinerer Teil außen.

Das ist aber kein Problem, denn genauso wie beim Training der äußeren Achtsamkeit, wird in der Praxis der echten Selbst-Erkenntnis die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit gestärkt und ausgeweitet, so dass es kein Problem bedeutet, gleichzeitig innen und außen zu sein. Daher muss man die Trennlinie ganz scharf und klar ziehen, denn hier gibt es keine Grauzone:

  • Entweder der Fokus liegt überwiegend oder ganz außen, dann werden überwiegend Objekte fokussiert.
  • Oder der Fokus liegt überwiegend oder ganz innen, dann werden überwiegend das Subjekt und seine Zentren fokussiert.

Anhand der überwiegenden Richtung der Aufmerksamkeit, kann man also für sich selbst eindeutig einschätzen, ob man wirkliche Selbsterkenntnis praktiziert oder nicht. Voraussetzung ist hier natürlich Ehrlichkeit, sich selbst gegenüber. Jemand, der diesen Weg beschreitet, will natürlich auch das Ziel erreichen – aber wenn er nur so tut, als ob er sich nach innen richtet aber weiterhin die Aufmerksamkeit überwiegend im Außen belässt – dann ist das Selbst-Betrug und keine Selbst-Erkenntnis.

Menschen, die keinerlei Interesse an ihrem Inneren haben, zum Beispiel, weil sie innen nichts fühlen und wahrnehmen können – aber Achtsamkeit praktizieren, weil sie ihr Hauptaugenmerk auf die Welt legen, um besser in ihr zu funktionieren und auch glücklicher zu sein – die betreiben alles andere aber ganz sicher keine Selbst-Erkenntnis.

Das ist nicht schlimm, denn jeder kann tun und lassen, was er will – es ist aber schlimm, wenn Achtsamkeit als Selbst-Erkenntnis verkauft wird. Das ist, wie Hundefutter als Luxusmenü zu verkaufen – und das gilt moralisch und rechtlich als Betrugsdelikt. Allerdings ist das bei Selbst-Erkenntnis nicht so: jeder, ohne die geringste Ahnung, darf behaupten, Selbsterkenntnis zu betreiben oder gar ein Meister oder Guru zu sein und darf andere Menschen lehren verarschen. Es darf aber keinesfalls jeder den Schornstein fegen, ohne ein Abschlusszeugnis in diesem Beruf zu besitzen…

Was benötigt wohl mehr Zeit, einen tieferen Einblick in die Natur der Wirklichkeit und das größere Geschick?