Was ist, wenn einer nicht sieht, dass er als Ich existiert?

Dann ist sein Ich unbewusst, was bedeutet, dass zwar der nach außen gerichtete Beobachter (Observer) aktiv ist, das wahre Ich aber komplett unbewusst ist, so dass es seine eigene Subjektivität nicht erkennen kann. Daher spürt und erfährt er zwar intuitiv, dass er existiert – wie jedes andere Wesen auch – kann aber nicht feststellen, als was er existiert. Wenn er nach innen schaut, sieht er einfach nichts. Er erfährt sich als eine Art „konturloses, schwebendes Bewusstsein“, inmitten totaler Schwärze oder Leere. Das ist der Grund dafür, dass veraltete spirituelle Lehren behaupten, dass es kein Ich (Wesenskern) gäbe, sondern nur das Ego.

Die Lösung dieses Dilemmas besteht darin, sich logisch fundiert klar zu machen, dass er unmöglich nicht als Individuum existieren kann. Es muss logisch vollkommen klar erkannt werden, dass etwas existieren muss, das sich fragt, als was es existiert. Dieses Etwas, dieses Individuum, kann das jetzt nur deshalb nicht erkennen, weil sein wahres Wesen inaktiv ist und schläft.

Das innere Wesen muss geweckt und aktiviert werden. Dies geschieht mit Hilfe der nach innen gerichteten puren Aufmerksamkeit (pure attention). Damit ist nicht die normale Aufmerksamkeit gemeint, die nach innen schaut, wie sie sonst nach außen schaut. Die pure Aufmerksamkeit (pure attention) ist eine fühlende Aufmerksamkeit, eine Emanation des Wesens-Ich und in der Lage, die Zentren der Subjektivität zu erwecken und zu verkörpern. Anschließend müssen die Zentren der Subjektivität bis zur vollen Stabilität entwickelt und integriert werden.

Jeder ist ein Individuum und jeder spürt das auch intuitiv. In der Advaita-Lehre, im Buddhismus und seinen Ablegern und auch bei Gurdjieff wird diese Individualtität aber vollkommen geleugnet. Das intuitive Ich-Gefühl wird mit dem künstlichen Ego gleich gesetzt und das ist ein Riesenfehler. Wer an diesem Ich-Gefühl festhält, es wertschätzt und entwickeln will, wird von diesen „Lehren“ und ihren Anhängern als „spirituelles Ego“ abgekanzelt. Ich erspare mir zu schreiben, was ich von solchen Ignoranten wirklich halte!

Wer sich selbst als Individuum verleugnet, verleugnet alles. Was will so ein Mensch überhaupt hier? Wie steht er zu sich selbst? Er kann sich ja gar nicht als Individuum lieben! Er gehört nicht mehr zur Masse – er gehört aber auch nicht zu sich selbst, weil er sich ja gar nicht wahrnehmen kann und sein instinktives Ich-Gefühl als Ego verleugnet. So ein Mensch ist verloren und hat alles aufgegeben, was er ist und sein könnte.

Es ist kein Wunder, dass solch ein Mensch immer wieder unglücklich ist. Er kann ja gar nicht glücklich sein, weil er sein Ich, seine ureigenste Individualität, seinen Wesenskern nicht liebt, sondern als Ego ablehnt und verleugnet. Wer sich selbst als Individuum ablehnt, lehnt auch die Quelle ab, die ihn als ein solches geschaffen hat. Es ist ein Witz, dass ein solcher Mensch dann versucht, sich einzureden, dass er die Quelle ist, was aber unmöglich seine reale Erfahrung sein kann – denn er erfährt sich nicht einmal als er selbst.

Kein Wunder, dass sich solch ein Mensch immer wieder nach außen wendet und versucht, sein Heil in äußeren Aktivitäten und Wahrnehmungen zu finden – was zwangsläufig scheitern muss, weil das unbewusste Ich von Natur aus unglücklich ist und durch äußere Gratifikationen immer nur kurzfristig befriedigt werden kann.

Dann wieder erkennt er seinen Fehler, geht nach innen und sieht – nichts. Er versucht sich an seinem Bewusstsein festzuhalten, da er aber dort keine festen Referenzpunkte hat, wird er immer wieder nach außen abdriften und sein Heil dort suchen. Etwas später merkt er das wieder, geht zurück nach innen – und so weiter… Dieses Spiel wiederholt sich immer wieder, endlos, bis zum Tod.

Wer sich selbst, sein Ich, seine ureigenste Individualität, seinen Wesenskern nicht liebt und respektiert, der liebt gar nichts – denn der Wesenskern enthält das gesamte Universum, die Welt, die wir wahrnehmen. Der Wesenskern ist so etwas wie ein individuelles Abbild der Quelle oder eine Ausstülpung daraus. Wenn jemand dieses innere, „göttliche Individuum“, das er ist, ablehnt und verleugnet, dann lehnt er in letzter Konsequenz die Existenz als solche ab.

Es geht immer nur darum, mich selbst als ICH SELBST zu erfahren und die Beziehung mit mir selbst aufzunehmen und stetig zu vertiefen. Wer bin ich wirklich? Wie bin ich wirklich? Was bin ich wirklich? Wo bin ich wirklich? Wie gehe ich mit mir um und wie kann ich die Beziehung mit mir selbst verbessern? Das sind die einzig wichtigen Fragen.

Hingegen geht es niemals darum, etwas „Besonderes“ zu erleben: „Erleuchtung“, besondere Erfahrungen, außerordentliche Wahrnehmungen – so etwas will immer nur das unbewusste Ich, das falsche Ich. Es will etwas Besonderes, weil das wirkliche, das fundamentale Wesens-Ich scheinbar langweilig und unscheinbar ist: „Das bin ja nur ich…“ Das falsche ich wird sich niemals für das echte Ich interessieren – dafür umso mehr für andere Dinge. Genau das muss geändert werden, denn das Wesens-Ich benötigt den Menschen, um zu erwachen und sich zu entwickeln. Wer das bewusst oder unbewusst verweigert – der verweigert sich damit der Existenz und seiner ureigensten Lebensaufgabe. So einer gleicht einem Untoten, einem Zombie – weder tot, noch lebendig.