Turiya

Heute Nacht kam es zum Eintritt des Turiya-Zustandes. Das war eine völlig unspektakuläre Sache. Direkt nach dem Aufwachen sank das Zentrum der Körper-Wahrnehmung von selbst bis auf Höhe des unteren Endes der Wirbelsäule – dort ist das Muladhara-Energiezentrum. Während es dahin sank, wurde es stufenweise immer dunkler. Ganz unten angekommen war es tiefschwarz und das Körperbewusstsein war ziemlich weg, bis auf einen kleinen Rest. Die Wahrnehmungen waren nicht „im Kopf“, sondern wie auch früher schon beschrieben, einfach „im Raum“.

Das Gewahrsein hat zwei Modi: Im ersten bleibt es in sich still und zentriert und gewahrt alles gleichzeitig. Im zweiten Modus bewegt es sich auf einen starken Reiz zu und fängt an, sich darauf zu fokussieren. Wird der Fokus extrem, dann beginnt sich das Gewahrsein mit dem Objekt der Wahrnehmung zu identifizieren. Handelt es sich bei dem Objekt um einen Schmerz, dann beginnt es sich anzufühlen, als ob da ein „Ich“ ist, das Schmerzen hat. Dieses „Ich“ ist das Gewahrsein, das sich in dieser Situation für ein objektives „Ich“ hält, das Schmerzen hat. Wird „man“ sich dessen gewahr, dann kann man sich einfach auf mehrere oder alle Wahrnehmungen gleichzeitig konzentrieren – damit wird der Fokus voll geöffnet und das Gewahrsein ist wieder in sich zentriert. Im gleichen Moment ist da nur noch die Wahrnehmung von Schmerz aber nicht mehr „ich habe Schmerzen“.

Heute wurde nur die Selbst-zentrierte Wahrnehmung erlebt, in der es ein freies Fließen des Gewahrseins gibt. Alles taucht einfach nur darin auf und verschwindet wieder und da ist kein „Ich“, das diese Wahrnehmungen auf sich bezieht. Statt dessen ist da nur das starke Gefühl „Ich bin“. Aber es war nicht klar, wer oder was ich bin.

Ich muss noch etwas sagen, bezüglich des Auslösens solcher Zustände. Im Yoga gibt es diverse Übungen, um so etwas zu tun. Ich muss zugeben, dass ich in den letzten Tagen mehrmals versucht hatte, da hinein zu kommen aber kläglich gescheitert bin. Gestern Abend habe ich das dann ganz bewusst aufgegeben und heute Morgen geschah es dann von selbst. Solange das Ego aktiv ist, glaubt es immer mal wieder, dass es selbst verantwortlich ist, für solche Dinge. Aber das ist ein Trugschluss. Es geschieht einem und alles, was man zu tun hat, ist stillzuhalten. Bei manchen Menschen kommt es vielleicht dazu, dass sie mit Meditation beginnen oder mit anderen Übungen – aber das geschieht auch von selbst, auch, wenn es den Anschein hat, dass der Mensch das von sich aus tut.

Ab einem bestimmten Stadium muss man aber lernen, einfach nur still zu sein und still zu halten – zumindest war es bei mir so. Das lange Durchhalten dieser „Übung“ bewirkt offenbar nötige Änderungen im Körper und in der Psyche, so dass sich dann irgendwann der natürliche Zustand von selbst einstellen kann. Man kann das mit einem Damm vergleichen: Solange der Damm immer höher gebaut wird, kann das Wasser nicht frei fließen. Hört man auf, den Damm immer höher zu bauen, beginnt das Wasser irgendwann, den Damm zu überfließen und ihn langsam abzutragen, bis es frei fließen kann. Das kann eine Zeit lang dauern aber irgendwann kann es frei fließen und dann…

Letztlich ist das Ganze nichts anderes als eine Dekonstruktion falscher Vorstellungen und Einstellungen. Es gibt nichts anderes, als Gewahr-Sein und die Vorstellung ein Mensch zu sein, mit einem festen Körper, der eigenverantwortlich in der Welt handelt, ist eben das: eine Vorstellung. Und die ist der Damm, der abgetragen werden muss. Das Selbst oder das Gewahr-Sein ist immer da, es kann ja gar nicht weg sein, weil es nur das gibt – es kann ihm auch nichts hinzugefügt oder weggenommen werden.

Daher ist es auch ein Fehler, zu versuchen, in den Selbsterkenntnis-Prozess einzugreifen, denn dieser ist ja auch die Dekonstruktion der Illusion eines „Ich“. Versucht man aber einzugreifen, bildet sich dieses „Ich“ immer wieder neu – weil ja jemand da sein muss, der sich das einbildet. Und dieser scheinbare „Jemand“ ist das „Ich“, dass dann immer wieder still und heimlich durch die Hintertür hereinkommt.

Das Haupt-Problem besteht in dem Gefühl „ich bin“ – es ist ein Konzept, ein Objekt in Raum und Zeit, denn es wird ja ganz klar wahrgenommen. Dieses Konzept eines „Ich“ muss weg – indem man es fixiert und bewusst wahrnimmt – und dann beiseite schiebt und darüber hinaus geht, „dahin“, wo dieses Gefühl nicht ist. Wo ist das? In der Natur des Bewusst-Seins – in seiner Grundlage, im Gewahr-Sein, welches neben allen anderen Objekten auch das „Ich-Bewusst-Sein“ gewahrt. Das Ganze hört sich ziemlich trickreich an, ist aber relativ einfach zu verstehen:

  1. Gewahr-Sein gewahrt immer alle Objekte zugleich und identifiziert sich nur mit sich selbst, es ist Selbst-gewahr und Selbst-existent.
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  2. „Ich-Bewusst-Sein“ ist eine individuelle Projektion des Gewahr-Seins, mit dem Zweck ein Individuum zu bilden. Dieses Bewusst-Sein hat die unschöne Eigenschaft, dass es sich mit dem ersten auftauchenden Objekt identifiziert. Da nach dem Aufwachen stets zuerst das „Ich-Gefühl“ auftaucht, und sich das Bewusst-Sein daher mit diesem identifiziert, nenne ich es „Ich-Bewusst-Sein“.

Mit anderen Worten: einige Zustände von Turiya erlebt zu haben reicht nicht aus, denn im Turiya-Zustand ist immer noch ein Subjekt vorhanden, das ein oder mehrere Objekte sieht. Erst dann, wenn Subjekt und Objekt zu Einem verschmelzen, wenn es also überhaupt nichts anderes mehr gibt, als die von selbst erscheinenden Objekte – erst dann ist die Vollendung erreicht – der Turiyatita-Zustand. Ich habe es im Bewusstseins-Ozean ja genauso erlebt: Die tanzenden „Wesenheiten“ waren ich und ich war sie – das ist die Einheit in der Vielheit und die Vielheit in der Einheit.

Es ist genau so, wie Ramana Maharshi immer betont hat: es reicht vollkommen aus, den Glauben an Gebundenheit aufzugeben und im gleichen Moment bist du frei. Leider ist dieser Glaube bei den meisten Menschen härter als der härteste Fels und größer, als der Mount Everest. Aber wenn dieser Glaube nicht fällt, dann bleibst Du auf ewig der Mensch, für den Du dich hältst, der Du aber nicht bist… Du bist so viel mehr, als dieser Mensch – unendlich viel mehr – DU BIST ALLES!

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