Der Unterschied zwischen Gewahr-Sein und Bewusst-Sein

Gestern Morgen, ist mir aufgegangen, dass der „Zustand“, der seit etwa zwei Jahren beinahe durchgehend während der gesamten Wachphase da ist, identisch ist mit Gewahr-Sein. Es war immer noch eine Unsicherheit dagewesen, ob ich bereits am endgültigen Gewahr-Sein dran bin oder nicht. Gestern hat sich das nun geklärt. Um anderen diese Unsicherheit zu ersparen und auch um mir selbst die Unterschiede noch einmal ganz klar zu machen, schreibe ich diese nun auf. Damit ganz klar wird, um was es sich genau handelt, schreibe ich im Folgenden: Gewahr-Sein, statt Gewahrsein und Bewusst-Sein, statt Bewusstsein…  [Stand: 17.12.2015 11:45]

„Gewahr-Sein“, „Gewahr-Seins-Raum“, „Raum-Gewahr-Sein“, „Raum-Bewusst-Sein“

Der „Gewahr-Seins-Raum“ oder das „Raum-Bewusst-Sein“ ist ein Raum, ein Rahmen, ein Kontinuum, in dem alles gleichzeitig wahrgenommen und nichts festgehalten oder fokussiert wird. Gewahr-Sein ist die Grundlage von Objekt-Gewahr-Sein bzw. Objekt-Bewusst-Sein, das sich immer mindestens eines Objektes bewusst ist und sich damit automatisch auf die räumliche Größe dieses Objektes verengt.

Das Gewahr-Sein ist dagegen eine vollkommen wahlfreie Aufmerksamkeit, ein offener Raum der Aufmerksamkeit, in dem alle Objekte auftauchen und wieder verschwinden, ohne, dass dies besonders beachtet wird. Auch das „Ich-Gefühl“ das fast alle Menschen als ihren Mittelpunkt wahrnehmen, weswegen sie sich mit dem Körper und der Person identifizieren – ist im natürlichen Zustand des Gewahr-Seins nichts anderes, als ein Objekt im offenen Gewahr-Seins-Raum und wird nicht weiter beachtet.

Daher empfindet sich das Gewahr-Sein auch nicht als ein „Ich“, eine Person, ein Jemand – weswegen es vollkommen unpersönlich ist. Das mag kalt erscheinen – ist aber die vollkommene Befreiung von der unseligen Identifikation, sich als ein bestimmter Mensch zu sehen, was dazu führt, dass man sich mit dessen Glück und Unglück beschäftigt und rettungslos darin verstrickt. Im Gewahr-Sein wird nicht mehr erkannt: „ich habe Schmerzen“ – dort wird erkannt: „da sind Schmerzen“.

Das ist ein ungeheuer großer Unterschied, weil dann einfach akzeptiert wird, dass da Schmerzen sind. Und das wird deswegen einfach akzeptiert, weil da kein „Ich“ im Brennpunkt der Aufmerksamkeit steht, das sich betroffen fühlen und mit dem Problem geistig beschäftigen könnte. Denn genau diese geistige Beschäftigung, genannt denken, ist es ja, die jeden Schmerz und jedes Problem erst so richtig aufbläst und wichtig macht. Stattdessen liegt die Aufmerksamkeit stets auf dem Gewahr-Seins-Raum selbst.

Bleibt man länger gewahr – nimmt man also ganz bewusst alles gleichzeitig wahr und liegt die Aufmerksamkeit dabei auf dem Raum – dann beginnt man zu bemerken, dass der Raum vibriert. Man erkennt, dass im Raum unregelmäßig verteilte Lichtpunkte aufblitzen und wieder verschwinden. Je länger man entspannt schaut, umso mehr Lichtpunkte wird man gewahr, bis sich das Ganze schließlich als ein gigantisches, leuchtendes Energiefeld entpuppt. Das ist die sichtbare Aktivität der Lebenskraft, die auch als innerer Ton hörbar ist. Man kann das Gewahr-Sein also identifizieren und festhalten, wenn man immer auf diese energetische Aktivität achtet, so, wie man zuvor die Aufmerksamkeit festgehalten hat, indem man auf den inneren Ton hört.

Ein weiteres wichtiges Merkmal, an dem man bemerkt, ob man im Gewahr-Sein ist oder nicht, besteht im Denken. Wer gewahr ist, der denkt nicht, sondern, wenn da überhaupt Gedanken sind, sieht er sie nur als Objekte auftauchen und wieder verschwinden, wie wenn ein Vogel vorbei fliegt und er schaut ihm nicht nach.

.
„Bewusst-Sein“, „Ich-Bewusst-Sein“, „Objekt-Bewusst-Sein“, „Objekt-Gewahr-Sein“

Das Objekt-Gewahr-Sein, besser bekannt als Bewusst-Sein, ist immer ein eingeengter, eng konzentrierter Fleck oder Punkt von Gewahr-Sein dessen Fokus mehr oder weniger dauerhaft auf einem Objekt liegt. In diesem Zustand ist sich das Gewahr-Sein nur dieses einen Objektes bewusst und wird dadurch zum Objekt-Bewusst-Sein. Aufgrund dieser Einengung auf nur noch ein Objekt, verliert das ursprünglich offene Raum-Gewahr-Sein seine Räumlichkeit. Wenn es sich dann noch mit dem fokussierten Objekt identifiziert, wie das normalerweise beim „Ich-Gefühl“ der Fall ist, dann wird aus dem Objekt-Bewusst-Sein das Ich-Bewusst-Sein.

Dieses Ich-Bewusst-Sein empfindet sich dann als „Ich“ und projiziert dieses Gefühl auf den Körper und den Namen, woraus der Eindruck entsteht jemand zu sein, der wahrnimmt und handelt. Aufgrund dieses Glaubens, entsteht die Illusion, dass das unendliche Gewahr-Sein, das keinerlei Grenzen kennt, weswegen man es auch „offene Weite“ nennt, in einem Körper eingesperrt sei, was aber völlig falsch ist! Siehe auch: Entstehung der Illusion eine Person zu sein

.
Unterschied zwischen fokussiertem und unfokussiertem Schauen

Der Unterschied zwischen fokussiertem und unfokussiertem Blick ist ganz deutlich im Augenbereich zu spüren. Schaue ich unfokussiert, dann wandern beide Augen leicht nach außen-unten und der ganze Augenbereich entspannt. Dabei rücken alle Objekte in den Hintergrund und wirken viel weniger scharf. Man schaut dabei kein Objekt direkt an, sondern man schaut nur in den Raum vor sich.

Schaue ich hingegen fokussiert, dann wandern beide Augen nach innen-oben und der Augenbereich spannt sich an. Bei einem solchen Blick ist nur ein Objekt oder eine kleine Objektgruppe ganz scharf und die anderen treten in den Hintergrund und werden unscharf. Das ist genauso, wie bei einer Kamera. Außerdem baut sich beim fokussierten Blick hinter den Augen und zwischen den Augenbrauen ein Druck auf und (bei mir) fängt es dann an ziemlich stark zu kribbeln, in einem Bereich zwischen und oberhalb der Augenbrauen (drittes Auge).

Wer seine Aufmerksamkeit soweit stabilisieren kann, dass er ständig gewahr ist und das „Ich-Gefühl“ nicht mehr zentriert/fokussiert ist, sondern nur noch als ein peripheres Objekt in der Wahrnehmung auftaucht, der hat den Turiyatita-Zustand in der Wachphase erreicht. Abhinavagupta nannte das „wahres Wachsein“. Turiyatita entspricht Sahaja Samadhi (Gewahr-Sein) und ist die Grundlage von Turiya, bei dem keine Objekt-Wahrnehmung auftritt. Die Grundlage aller Zustände ist immer das GEWAHR-SEIN, denn nur dieses gewahrt alle Zustände.

Das Gewahr-Sein ist aber noch viel grundlegender: Darin taucht alles auf und vergeht wieder: alle Objekte und alle drei Phasen: die Wach-Phase, die Traum-Phase und die Tiefschlaf-Phase. Aber die meisten Menschen merken nichts davon, weil sie ständig unbewusst in ihren Gedankenkonstrukten kreisen.

Es gibt auch bewusste Menschen, die noch im „Ich-Gefühl“ zentriert sind, die spüren dann klar: Ich bin der X.Y. Das spüren sie möglicherweise sogar dann, wenn sie ganz genau wissen, dass sie dieser X.Y nicht sind.

Man kann da aber rauskommen! Dazu muss man nur aufmerksam sein und den Blick entspannen und sich weiten lassen. Wenn man dann noch immer wieder mal spontan prüft, wo das Gewahr-Sein fokussiert ist und wie groß der Gewahr-Seins-Raum ist, den man gerade bewusst wahrnimmt, dann weitet sich dieser immer mehr aus. Wichtig dabei ist, möglichst nichts zu fokussieren und wenn man merkt, dass da ein Objekt im Fokus ist und man will wieder nur gewahren, dann schaut man einfach entspannt und unfokussiert geradeaus in den Raum vor sich – und schon gewahrt man den Raum – das bedeutet man ist der Raum, der Gewahr-Seins-Raum.

Zusammenfassung:

  • Im Gewahr-Seins-Raum tauchen Objekte auf und vergehen wieder, ohne dass sie fokussiert oder festgehalten werden. Das „Ich-Gefühl“ ist, falls vorhanden, nur peripher im Raum wahrnehmbar, als eines unter vielen Objekten, die nicht weiter beachtet werden. Es ist also kein Gefühl da, jemand zu sein – stattdessen liegt die Aufmerksamkeit auf dem Gewahr-Seins-Raum selbst.
    .
  • Bewusst-Sein ist ein eng gebündelter, kleiner Fleck oder Punkt von Gewahr-Sein, bei dem ein Objekt im Fokus der Aufmerksamkeit steht, so dass sich das Gewahr-Sein dessen bewusst ist. Handelt es sich bei dem Objekt um das „Ich-Gefühl“, dann ist sich das unpersönliche Gewahr-Sein bewusst, jemand zu sein. Siehe auch: Entstehung der Illusion eine Person zu sein
    .
  • Somit ergibt sich eindeutig, dass das Gewahr-Sein umfassender, dynamischer und damit auch grundlegender ist, als Bewusst-Sein, da sich das Gewahr-Sein immer auf das gesamte Kontinuum bezieht und das Bewusst-Sein nur auf einen oder wenige, nahe beieinander liegende Aspekte desselben. In einem Satz: Das Gewahr-Sein umfasst immer alles und das Bewusst-Sein immer nur einen kleinen Teil.
    .
  • Zwar können wir unser wahres Selbst, das reines, absolutes Gewahr-Sein ist, nicht direkt wahrnehmen. Wir können aber seine Tätigkeit erkennen und zwar im Erleben des Ich-Bewusst-Seins, das von der Natur des absoluten Gewahr-Seins ist. Die Erfahrung des Erlebens selbst ist Gewahr-Sein. Wir können uns dann mit dem „Bewusstsein der Erfahrung“ identifizieren, anstatt mit irgendwelchen Vorgängen und Objekten!

Das hier Gesagte basiert auf meiner eigenen Erfahrung – und jeder, der die gleiche Erfahrung macht, und auch nur einmal den Gewahr-Seins-Raum bewusst betritt, erkennt sofort den Unterschied, denn er ist so gewaltig, dass er unmöglich übersehen werden kann. Das Gewahr-Sein wird nur normalerweise nicht entdeckt, weil jeder sich beinahe ausschließlich in seinem eigenen Ich-Bewusst-Sein aufhält und nicht einmal in Erwägung zieht, dass es darüber hinaus noch etwas anderes geben könnte, etwas weitaus umfassenderes, etwas, das ALLES IST.

Wenn weitere Fakten auftauchen, die ich entweder vergessen habe oder noch nicht weiß, werde ich diesen Beitrag hier entsprechend ergänzen. [Stand: 17.12.2015 11:45]