Es scheint in diesen Zeiten extrem modern zu sein, hauptsächlich Bücher oder Schriften zu zitieren – vorzugsweise solche, mit bekannten oder gar berühmten Namen. Dagegen Dinge tief und intuitiv zu durchdenken, um ein eigenes Verständnis zu gewinnen, was dann noch durch eigenes Erleben gestützt und vertieft wird – das scheint eher die Ausnahme zu sein.
Als ich im Alter von 42 Jahren noch ein Informatikstudium begann, merkte ich sehr schnell, was die Professoren da tun. Sie kopieren sich Skripte mit 250 Seiten zusammen und geben diese an die Studenten. Da mein Gedächtnis so schlecht ist, dass ich mir fast nichts merken kann, musste ich diese Wälzer auf 20-25 Seiten schrumpfen. Regelmäßiges Ergebnis: Note zwischen 1-2. Was bedeutet das? Von 250 Seiten waren 225-230 Seiten nur Nonsens, Bindewörter, BlaBla – aber nichts Werthaltiges.
Diese Skripte gab ich kostenfrei an alle Kommilitonen weiter. Nach ein oder zwei Semestern musste ich realisieren, dass praktisch nichts zurück kam. Als ich dann bekannt gab, dass ich die Skripte erst dann wieder weitergebe, wenn auch etwas von anderen kommt, kam tatsächlich etwas. Aber das war qualitativ so beschämend schlecht, dass damit nichts anzufangen war.
Der nächste Hammer kam bei der Diplomarbeit, als der Professor meinte, dass eine Arbeit mit weniger als 10-20 Seiten an Zitierquellen nicht anerkannt werden würde. Genau das läuft mittlerweile auch in „spirituellen Kreisen“ ab. Da werden keine eigenen Erlebnisse und Erkenntnisse geteilt – da wird nur noch zitiert, was „Dogen“ hier geschrieben hat und „Hui Neng“ dort.
Wenn aber einer es wagt, seine eigenen Erkenntnisse und Einsichten zu posten und das auch noch zu hundert Prozent mit eigenen Worten – dann wird er in der Luft zerrissen und als „Narzisst“ beschimpft. Warum? Weil sie das nicht können! Warum nicht? Sie lesen und studieren nur, was andere irgendwann geschrieben haben – ohne zu realisieren, dass das nur tote Worte sind.
Es ist doch keine Erkenntnis, wenn ich etwas gelesen habe und das sinngemäß wiedergeben kann! Wenn ich etwas nicht selbst erlebe, nicht mit dem ganzen Körper spüre, höre und sehe – dann weiß ich das auch nicht wirklich. Solche Menschen können natürlich nicht dulden, dass einer daher kommt und tatsächlich etwas mit eigenen Worten sagt, was auch noch richtig ist.
Ich bin mir absolut sicher, dass Buddha, wenn er heute noch einmal leibhaftig erscheinen würden, gekreuzigt und vernichtet werden würden, sobald klar wäre, dass das, was er sagt, gegen die Tonnen an Texten gerichtet wäre, die NACH dem Tod des „Original-Buddhas“ entstanden sind. Vernichtet von den gleichen Leuten, die den 2500 Jahre alten „Original-Buddha“ zutiefst verehren.
Ich stelle fest, dass ich mit dieser Art der „Wissens-Aquise“ vollkommen inkompatibel bin und sie anprangere, sobald sie mir bekannt wird. Es ist eben so, dass hier nicht eine Millisekunde nachgedacht wird, bevor Sprache erscheint – daher kann das auch nicht verhindert werden.
Sobald jemand eine Frage stellt, schießt die Antwort eruptiv heraus, ohne dass „Dieter“ weiß, woher und warum. Das fließt aus der Tiefe direkt in die Tippfinger – das Hirn ist dabei leer, wie eine ausgetrunkene Coladose. Es wäre geradezu lächerlich, wenn „ich“ das als „meines“ reklamieren würde. Sowohl Inhalt, als auch Diktion und emotionaler Ton und auch das zwischen den Zeilen rauscht so schnell heraus, wie das Wasser aus einem umgedrehten Glas.
„Ich“ bin dabei eigentlich nur ein Zuschauer – es wird zwar bemerkt, kann aber nicht beeinflusst werden. Oft ist es sogar so, dass Dinge gesagt werden, von denen „ich“ noch nie gehört habe – und das mit einer verblüffenden Klarheit – so als wüsste „ich“ das mit absoluter Sicherheit. Das führt dann regelmäßig dazu, dass später nachgeforscht wird, wie das wirklich ist. Dann stellt sich in praktisch allen Fällen heraus, dass es korrekt war. Aber – wie gesagt – „ich“ bin daran nicht beteiligt! „Ich“ ist dabei eher so etwas wie ein überflüssiges Anhängsel.