Liebe frei von Mitgefühl

Christl Lieb: Liebe frei von Mitgefühl

Auszug: Die „Liebe frei von Mitgefühl“ geht von der Voraussetzung aus, dass wir Alle aus der selben Quelle, aus den Tiefen der Schöpfung kommen. Von dort her wird uns die Kraft und Kreativität zu Teil, jede Situation unseres Lebens, und sei sie noch so katastrophal, bewältigen zu können. Wir ahnen, dass unsere Seele irgendwann unseren Schicksalsweg bejaht hat, gleichgültig ob wir scheitern oder erfolgreich sind. Wir haben in uns alles, was wir brauchen, um jede Krise zu bewältigen, oder in ihr unterzugehen, was nichts anderes ist als eine andere Art der Bewältigung. Dieses Quellen-Bewusstsein ruht in uns, steht uns aber nur selten in seiner Fülle zur Verfügung.

Das hört sich völlig anders an und entspricht viel mehr meiner eigenen Erfahrung, als ein künstlich aufgesetztes Mitgefühl zu produzieren, das zwanghaft „allen Menschen helfen will„. Das ist mehr eine künstliche, relative Liebe, emotional und oft dramatisch.

Die absolute Liebe ist ein mehr neutrales Gefühl, ohne Emotionen, ohne Drama, schmerzfrei, pragmatisch, praktisch, friedlich, annehmend. Liebe ist ein Sein-Zustand, der immer hier ist, wenn er nicht temporär durch irgend etwas verdeckt wird – ein ruhiges, neutrales Gefühl der Präsenz von unendlicher Tiefe und Weite, die in Schwärze gehüllt ist.

Die absolute Liebe fließt nie in irgendeine Richtung – sie ist weit, wie der Himmel oder wie die Sonne am Himmel, die gleichmäßig in alle Richtungen scheint. Das kann auch nicht gemacht werden – Liebe ist die Ausstrahlung von Leben – ein Be-leben. LEBEN IST = LIEBE IST.

Das, was die meisten Menschen für Liebe halten, ist ein relativer, emotionaler Zustand von innerer Wärme, der in eine bestimmte Richtung fließt und von äußeren Merkmalen abhängt. Nach dieser Liebe hungern scheinbar die meisten Menschen – sie ist ein Ausdruck des Mangels. Tatsächlich hungern sie nach der bedingungslosen Liebe, die sie selbst sind – allerdings ohne das zu wissen. Sie hungern danach, weil sie sich nicht selbst bedingungslos lieben können. Das setzt oft eine ganze Armada an Aktivitäten in Gang, die als Ersatz für die fehlende Selbstliebe dienen sollen.

Noch ein Auszug:
Seit ich in der Haltung der „Liebe frei von Mitgefühl“ lebe und arbeite, hat sich mein Leben sehr verändert. Zwischen dem Leid der Anderen und mir ist ein Raum, eine klare Distanz entstanden. Auch zwischen mir und meinem eigenen Leid gibt es jetzt diese klare Distanz. Das hilft, die Situation als Ganzes zu sehen und nicht im Detail verloren zu gehen. Dieser klare Raum ist voll der Liebe, die aus der Quelle kommt. Ich kann mich jetzt ganz anders dem Schicksal meiner Klienten aussetzen. Es berührt, aber durchdringt mich nicht. Mein Körper dankt es mir.

Es ist ein Riesenunterschied, ob man sich in die eigenen Geschichten und die der anderen hinein ziehen lässt – oder diese Geschichten einfach als Geschichten sehen kann, denn mehr sind sie nicht. Das, was jeder ist, kann niemals davon betroffen sein – es schaut diesem Treiben nur zu.

Es gibt da eine Geschichte, von zwei Vögeln, die auf einem Baum sitzen. der Eine isst die Früchte des Baumes und der andere schaut ihm nur zu. Die beiden Vögel sind in Wirklichkeit zwei verschiedene Bewusstseins-Ebenen. Die eine Ebene ist an den Körper gebunden und genießt die Früchte des Lebens (Freude und Schmerz). Die übergeordnete Ebene ist das weite, ungebundene Bewusstsein – in dem das Körperbewusstsein eingebettet ist – und sie schaut dem Treiben des Körperbewusstseines nur zu.

Das Körperbewusstsein ist so etwas wie eine Reiz-Reaktions-Maschine. Es bekommt ständig Reize vorgesetzt und reagiert darauf. Leben ist letztlich ein unendlicher Strom an Wahrnehmungs-Reizen und darauf folgende Reaktionen.