Wie Denken Realität erschafft

Angenommen ein Mann sieht eine Frau, die ihm sehr gut gefällt und er beschließt, sie bei nächster Gelegenheit anzusprechen. In der Zwischenzeit wälzt er Gedanken, in denen er sich alles mögliche vorstellt, was er mit der Frau machen will und wie sie auf ihn reagieren wird. Er malt sich alles in bunten Farben aus und freut sich zunehmend mehr auf den Tag, an dem er sie wiedersieht und sie anzusprechen gedenkt.

Als der Tag dann endlich da ist und er sie ansprechen will, sind mehrere Versionen denkbar.

  1. Er traut sich nicht, sie anzusprechen, geht nach Hause, ärgert sich über sich selbst und nimmt sich vor, sie beim nächsten Mal anzusprechen – was wieder in die Hose geht, worauf er sich noch mehr ärgert und sich noch fester vornimmt, sie beim nächsten Mal auf jeden Fall anzusprechen. […]
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  2. Er spricht sie an, aber sie lehnt es ab, mit ihm zu sprechen oder weist ihn darauf hin, dass sie bereits vergeben ist. Worauf bei ihm eine Leidensphase beginnt, die Liebeskummer genannt wird und genau so lange dauert, bis er den Wunsch losgelassen hat, mit dieser Frau etwas anzufangen.
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  3. Er spricht sie an, sie freut sich, weil er ihr auch gefällt und es kommt zu einem Treffen, bei dem sie an seinem Verhalten erkennt, dass er doch nicht ihr Typ ist und ihn stehen lässt. Resultat: Ärger oder Leiden.
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  4. Er spricht sie an, sie freut sich, es kommt zu mehreren Treffen und eine Beziehung beginnt. Resultat: vorübergehende Freude.
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In jedem dieser Fälle hat das Denken des Mannes zuerst eine freudvolle innere Realität erschaffen. Wenn dann aber die äußere Realität nicht mit der inneren übereinstimmt, kommt zwangsläufig Leiden auf. Nur dann, wenn die äußere Realität mit der selbst geschaffenen inneren Realität zusammen passt, wird der Mann kein Leid, sondern Freude erfahren.

An diesem einfachen Beispiel, das umgekehrt auch für Frauen anzuwenden ist, sieht man vollkommen klar, wie Denken Realitäten erschafft – und zwar hauptsächlich leidvolle Realitäten – weil es nicht sehr oft vorkommt, dass die äußere Realität mit der inneren zusammen passt. Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen, besonders attraktiven Menschen fällt es oft leichter, positive Resonanz beim Gegenüber auszulösen – aber dann kommt das Leiden oft später, wenn das Ganze nach mehreren Jahren dann doch scheitert.

Wenn dieser Mann jetzt überhaupt nicht über die Frau nachdenken würde und die Dinge einfach entspannt auf sich zukommen ließe, dann würde er damit keinerlei Erwartungshaltung aufbauen und stattdessen einfach spontan im Moment handeln können. Es gäbe dann kein Problem, wenn die Frau ablehnt oder wenn einer von beiden merkt, dass es doch nicht passt. Dann passt es eben nicht und man geht weiter. Resultat: weder Freud, noch Leid, sondern ein neutraler Zustand.

Es geht hier nicht primär um Beziehungen, sondern um den Mechanismus an sich. Das Beispiel wurde nur deshalb gewählt, weil jeder sich relativ leicht da hinein versetzen kann und damit erkennen kann, dass es immer nur das Denken ist, das leidvolle Realitäten erschafft. Die Realität an sich kann das nicht – sie ist einfach so, wie sie jeweils ist. Es ist immer nur die Erwartung eines Menschen oder die innere Reaktion auf eine Situation, die Leiden schafft.