Machen und Lassen

Es gibt zwei Phasen bei „spirituellen Übungen„. Die eine ist ein „aktives nach innen gehen„, die üblicherweise vor einem „sich zeigen der Lebenskraft“ geschehen muss. Die andere Phase ist dann ein „passives geschehen lassen„. Das darf man nicht so wörtlich nehmen, wie es hier steht, denn auch die erste Phase wird ausschließlich von der Lebenskraft getragen und befeuert. Die erste Phase dient dazu, dass der Mensch erkennt, dass er nichts in den Händen hält, dass er keine Macht über sein Leben hat, dass er nichts tun kann – außer zuzulassen.

Die erste Phase ist dann beendet, wenn das Ego lange genug verzweifelt gegen die innere Tür getrommelt hat, ohne dass sie sich öffnete.

Die nächste Phase beginnt üblicherweise in einer totalen inneren Aufgabe und mit einem darauf folgenden „sich zeigen der tatsächlichen Macht„. Es kommt zu einem Erleuchtungserlebnis, das eindeutig gegeben wird und nicht gemacht werden kann. Auch das mit der „Erleuchtung“ darf man nicht wörtlich nehmen – da wird nichts hell – es kommt einfach zu einem Erkennen, es geht dem Aspiranten „ein Licht auf“ und wenn es gut läuft, bekommt er den Ort gezeigt, an dem diese Kraft im Körper residiert. Es kann auch zu einem temporären Verschmelzen mit dieser Kraft kommen.

Es gibt Menschen, die nie irgendwelche Übungen gemacht haben und gleich mit der zweiten Phase starten. Das kann zum Beispiel bei starken Erschöpfungszuständen passieren, wenn ein Mensch am Ende seiner Kräfte ist. Was ja im Prinzip auch durch das zwangsläufige Scheitern „spiritueller Übungen“ ausgelöst wird. Wenn man zum Beispiel einfach nur versucht, nach innen zu schauen und bei dem Gefühl der eigenen Existenz zu bleiben – und noch nicht über die nötige Stabilität und Stille verfügt, die nach dem sich zeigen der Lebenskraft gegeben wird, der wird sehr schnell merken, wie tief er eigentlich schläft.

Er wird feststellen, dass er sich 99% der „Wach-Zeit“ in Gedanken suhlt und nicht einmal merkt, dass er da ist und wo er ist. Jetzt wird er anfangen zu kämpfen – er „will es wissen“ und er muss daran scheitern, denn genau dieses Scheitern führt zu der inneren Verzweiflung und dem Verlust aller Kräfte, die den Aspiranten aufgeben lässt. Dann kann es geschehen, dass die Lebenskraft eingreift und ihn über den vorherigen, armseligen Wach-Schlafzustand hinaus hebt.

Niemals geht irgend jemand aus eigener Kraft über diese Brücke. Der Weg führt immer über das Scheitern der vermeintlichen Person und wer anderen Menschen das Gegenteil sagt, wer ihnen „einen Weg über die Brücke“ zeigen will und sagt, dass das ihre einzige Chance ist – der sagt bewusst oder unbewusst die Unwahrheit!

Ein echter Meister zeigt Dir keinen Weg – er nimmt Dir alles aus der Hand und lässt Dich nackt im Regen stehen, solange, bis Du entkräftet zusammenbrichst. Aber so ein „Meister“ ist kein normaler Mensch mehr – er ist nur noch die Hülle eines Menschen, der Handelnde im Meister ist das Leben selbst und „der Meister“ setzt dem keinerlei Widerstand entgegen.

Ein Mensch, der anderen „einen Weg zeigen will„, braucht nur selbst auf seinen eigenen Werdegang zu schauen und wird feststellen, dass er genau an dem Punkt des Scheiterns und tiefster Verzweiflung über die Schwelle befördert WURDE.

Es kann niemals eine erfolgreiche „innere Schule“ geben, die verantwortlich für den Erfolg eines Aspiranten auf einem spirituellen Weg ist. Wer das behauptet, der sitzt seinem eigenen Ego auf! Jeglicher „Weg“ muss scheitern und zwar total – und erst in diesem Scheitern, in dieser totalen und absoluten Aufgabe kann etwas geschehen. Vorher nicht.

Man braucht sich doch nur einmal klar zu machen, was das ist, was die Welt am Laufen hält, was das Funktionieren der Welt und der Menschen ist. Wie kann ein Mensch etwas „aus eigener Kraft“ tun, wenn er komplett im Prinzip der Existenz eingebettet ist, von diesem erzeugt und belebt wird und sein Funktionieren und Handeln nichts anderes als ein Ausdruck dieser Kraft ist? Jeder weiß, dass der Motor im Auto dieses antreibt und nicht der Mensch, der darin sitzt.

Die Lebenskraft ist der Erschaffer des Autos, des Motors, des Treibstoffes, des Menschen – sie ist der Betreiber dieser Einrichtungen – und sie ist der Ort, an dem all das stattfindet. Die Lebenskraft oder die Quelle ist autonome, kreative Funktion und Bewegung in sich selbst. Da es nichts gibt, wo sie hingehen kann, ruht sie und ist still – aber in ihr selbst taucht Bewegung auf, tauchen Welt und Wesen auf und verschwinden wieder.

Wenn es Zeit ist für einen Menschen, nach innen zu gehen, dann wird er dazu gebracht werden – und wenn er genug gestrampelt hat und wegen seines Scheiterns zutiefst verzweifelt ist, dann wird er über die Brücke befördert werden. „Der Weg„, das ist die Lebenskraft und die braucht keine künstlichen Stützen und Einrichtungen.

Es gibt genau so viele Wege, wie es Menschen gibt – das ist völlig eindeutig – und es ist immer die Lebenskraft selbst, die den Weg geht und nie der Mensch. Der Mensch ist nur das Fahrzeug, das willen- und kraftlose Vehikel dieser ultimativen und einzig existenten Kraft. Aber solange ein Mensch noch versucht und machen will, solange er noch Wege gehen oder Wege zeigen will – solange wird er geschlagen werden, denn er zeigt damit, dass er noch nicht wirklich aufgegeben hat.

Kein Jemand kann einem anderen helfen.
Ein Niemand wird das gar nicht erst versuchen.

Nachtrag:
Mensch, erkenne Dich selbst – ist falsch.
Leben, erkenne Dich selbst – ist richtig.