Selbstergründung

Heute Nacht wachte ich um zwei Uhr auf und lag eine Weile einfach still da. Dabei wurde mir der seit längerem gefühlte Hintergrund des Bewusstseins deutlich bewusst – und plötzlich kam ein Impuls auf, mich da hinein fallen zu lassen. Das tat ich dann auch und dabei fühlte ich, wie das Ich-Bewusstsein objektiviert wurde. Während ich immer weiter nach hinten fiel, spürte ich immer wieder, wie sich die Aufmerksamkeit auf irgendwelche Wahrnehmungsobjekte hängen wollte. Jedesmal, wenn das geschah, machte ich mir einfach bewusst, dass ich das nicht bin – und dann fiel ich weiter.

Das ging solange, bis eine Art „Boden“ erreicht war, an dem es kein Gefühl mehr gab, dass ich ein Ich bin, sondern nur noch die wahrgenommenen Objekte. Zuerst war noch ein leichtes Ich-Gefühl vorhanden – aber als das bewusst wurde, ging es noch einen Schritt weiter „zurück“ und das Ich-Gefühl war weg. Das Ergebnis war dann der Eindruck eines tiefdunklen Raumes, von dem die sich darin befindlichen Wahrnehmungs-Objekte nicht unterscheidbar waren. Eigentlich waren da nur noch die Wahrnehmungs-Objekte. Das hielt eine Weile an und dann muss ich eingeschlafen sein. Am Morgen war die Wahrnehmung wieder normal.

Heute Morgen wurde mir dann klar, dass diese Unterscheidung, zwischen dem, was ich bin und nicht bin, genau dem entspricht, was Ramana Maharshi „Selbstergründung“ nannte, also die Frage: „Wer bin ich?“ Wobei man alles fallen lassen soll, was man wahrnehmen kann. Am Ende soll dann nur noch das übrig bleiben, was man nicht wahrnehmen kann – das ist dann, was man ist: Bewusstsein. Nun, das habe ich lange Zeit praktiziert – mit Null Erfolg.

Wenn man sich aber bereits jenseits des Verstandes befindet, dieser still ist und man gerade dabei ist, „in sein Bewusstsein zu fallen„, also in sich selbst hinein, dann braucht man sich diese Frage gar nicht zu stellen – man fühlt einfach: „das bin ich nicht“ und fällt weiter.

Wenn ich mir vergegenwärtige, wie Ramana im Alter von 17 Jahren, während seiner „Nahtod-Erfahrung“ sich fragte, was er denn dann eigentlich ist, wenn doch der Körper jetzt „tot“ ist – dann hat er genau das damals gemacht: er hat intuitiv zwischen Subjekt und Objekt unterschieden und festgestellt, dass er nichts körperliches, sondern etwas geistiges ist. Das hat damals für ihn funktioniert, weil er in einem spontanen Durchbruch bereits jenseits des Verstandes und im freien Fall war und er sich das nur noch klar machen musste.

Später hat er daraus eine Methode gemacht, mit der ein normaler Mensch in die Lage versetzt werden soll, sein Bewusstsein zu isolieren, als das, was er ist. Das kann aber niemals funktionieren, denn der, der das durchführen soll ist der Verstand und der kann sich nicht aus eigener Kraft übersteigen. Das Übersteigen/Transzendieren muss einem geschehen, wie Ramana das geschah – und erst dann kann die „Selbstergründung“ erfolgreich sein.

Auf diese Weise dürften die meisten spirituellen Lehren entstanden sein: Jemand wurde vom Leben, mehr oder weniger weit, jenseits des Verstandes und in das Bewusstsein katapultiert. Vielleicht wurden dabei auch noch einige Zentren geöffnet. Dann erfolgte die „Nachbehandlung“ also jahrelange Meditation, innere Erkundung und Stabilisierung. Dann begann der neue „Meister“ zu lehren. Und was lehrte er? Das, von dem er glaubte, dass es ihn „dahin“ gebracht hat.

Wenn ich das richtig sehe, macht Anadi das anders. Er versucht, von innen heraus und mit Hilfe seiner Intuition, einen praxisorientierten Weg zu bauen, der für bereits jenseits des Verstandes befindliche Menschen funktioniert. Das ist kein Dogma, sondern ein andauernder Prozess, in dem sich immer neue Erkenntnisse auftun, die zu einer stetigen Weiterentwicklung führen. Ob das für andere gilt, kann ich nicht beurteilen – aber mir hilft das, was er entwickelt hat. Ich bin allerdings davon abgerückt, alles wortwörtlich zu nehmen, sondern benutze seine Erkenntnisse und Schriften als ungefähren Rahmen, in dem ich mich bewege und aus dem heraus ich versuche, meinen eigenen Weg zu finden.

Dass dies für mich die richtige Vorgehensweise ist, wurde deutlich, als ich mich vor einigen Monaten zu einem Retreat bei ihm anmelden wollte. Am gleichen Tag, als ich mich dazu entschloss, kam eine Mail von einer mir bis dahin unbekannten Person, deren Inhalt mich davon abgebracht hat. Ich hatte meinen Entschluss aber weder jemandem mitgeteilt, noch darüber geschrieben. Seitdem weiß ich, dass ich es auf diese Weise tun muss. Ich lasse mir diese Option aber offen – vielleicht ist nur noch nicht der richtige Zeitpunkt. Das wird sich zeigen.