Unpersönlichkeit und Vereinfachungen

Die meisten Menschen, die den inneren Pfad beschreiten, gehen davon aus, dass sie einfach nur bewusst sein und bleiben müssen. Sie wissen nicht, was alles möglich ist. Viele glauben auch, dass jede Individualität nichts anderes ist, als das Ego-Ich. Solche Menschen bleiben oft ganz am Anfang stecken. Sie fühlen sich innen – aber sie erkennen sich nicht – sie erkennen ihre innere Individualität und Subjektivität nicht.

Wenn solche Menschen dann anfangen, anderen von ihren Erkenntnissen zu erzählen oder gar versuchen zu lehren, dann klingt das etwa so: „Man muss nach innen gehen, denn dort ist das Bewusstsein, die Bewusstheit, die man erkennen und möglichst lange halten muss. Auch den Verstand soll man beobachten – aber man sollte nicht versuchen, ihn zu beherrschen, denn das funktioniert nicht – was ja jeder feststellen kann und wer das Gegenteil behauptet ist ein Lügner und Betrüger. Eine über Beobachtung hinausgehende Praxis ist nicht nötig, denn außer dem anonymen Bewusstsein gibt es innen nichts. Und weil da niemand ist, kann auch niemand etwas tun, sich entwickeln oder den Verstand beherrschen. Es ist immer nur der Verstand, der so etwas anstrebt, was man auch spirituelles Ego nennt. Darüber hinaus gibt es nur noch das Absolute  – aber darüber kann man nicht reden, weil man es nicht erfahren kann – außer in einer blitzartigen Erleuchtungserfahrung in Form der Leere.

Das ist in Kurzform das ziemlich kompakte Weltbild solcher Menschen, was unter anderem daran liegt, dass sie oft an vereinfachenden Lehren festhängen, wie der von Gurdijef oder Advaita. Gurdijef versuchte hauptsächlich den Beobachter zu entwickeln (Konzentration, Wachheit) – und Vertreter von Advaita lehnen oft jegliche Praxis ab, „denn da ist ja niemand, der etwas tun könne“ (Nicht-Dualität). Weder Gurdijef noch die Entwickler der Advaita-Lehre kannten die innere Subjektivität, die Individualität ihres eigenen Bewusstseins. Sie wussten nicht, wer sie sind, denn sonst hätten sie ihre Lehr-Konzepte niemals so entwickelt, wie sie es getan haben.

Jemand, der sich nicht erkennt, der glaubt, dass innen nichts ist, kann normalerweise noch nicht über die erste Stufe hinter dem Verstand hinausgekommen sein. Dabei ist es gleichgültig, ob der Zustand stabil ist oder nicht. Es gibt auch Menschen, die viel weiter gekommen sind und sich fühlen können, dieses Gefühl aber als Ego-Ich ablehnen, sich also verleugnen. Wer in so einem unpersönlichen Zustand landet, muss versuchen, die Subjektivität des Bewusstseins zu erkennen und darf nicht glauben, dass da nichts ist. Richtig ist vielmehr, dass ER da ist und dass er das nicht fühlen kann oder glaubt, dass dieses Gefühl identisch mit dem Ego-Ich ist, was definitiv falsch ist!

Wer aus dieser Ecke nicht herauskommt, der kann keinen Schritt weiter gehen – nicht nur, weil er den nächsten Schritt nicht kennt – sondern weil er nicht glaubt, dass es noch weiter geht. Es ist immer wieder verblüffend, zu erleben, wie Menschen, die ihren Verstand nicht beherrschen, diese Möglichkeit vehement ablehnen – weil sie es nicht können und daher auch nicht glauben, dass es ein anderer kann und „weil da ja gar keiner ist, der das könnte„. Solche Leute hängen in ihren Vorstellungen fest und merken das nicht.

Das galt für mich ganz genauso – bevor ich weiter gegangen bin! Und ich weiß, dass ich nur deshalb weiter gegangen bin, weil in mir ein sehr starker Drang aufwachte, der mich vorwärts trieb. Daraus ergibt sich für mich, dass es Menschen, die hinter dem Verstand fest stecken, genau daran fehlt. Sie haben keinen inneren Impuls, der sie weiter treibt – und bleiben daher beim ersten Schritt stecken. Sie stehen noch in der Tür oder haben die Schwelle schon knapp übertreten und gehen dann aber nicht weiter – und von außen ist es nicht möglich, hier Einfluss zu nehmen.

Das gleiche gilt natürlich auch für normale Menschen, die etwas über solche Themen hören. Es ist nicht möglich, sie mitzunehmen, weil sie von selbst kommen müssen – sie müssen es unbedingt wollen. Nicht als Gedanke im Verstand – sondern aus einem starken inneren Antrieb heraus. Daher schreibe ich hier nur für mich selbst, denn ich kenne niemanden, der hier folgen kann. Wenn ich bedenke, dass ich erst ganz am Anfang stehe und sogar Menschen, die bereits den Zugang zur inneren Ebene haben, hier nicht mehr folgen können oder wollen – dann kann man das von normalen Menschen keinesfalls erwarten, denn sie hängen während ihrer gesamten Wachphase hilflos in ihren Gedankenschleifen, aus denen es aus eigener Kraft normalerweise kein Entkommen gibt.

Vielleicht ist es einfach eine Frage der Reife – aber ab einem bestimmten Alter hat man nicht mehr viel Zeit zu reifen. Ich las Ende Dezember 2013 das Buch Begegnung mit dem Nagual von Armando Torres – in dem genau dieser Punkt angesprochen wurde. Torres traf irgendwann zufällig auf Castaneda und hatte einige aufrührende Gespräche mit ihm. Castaneda betonte darin unter anderem, dass man irgendwann anfangen muss, möglichst bevor es zu spät ist. Das hat etwas in Torres ausgelöst, woraufhin er auf seine innere Reise gegangen ist.

Auch in mir hat diese Aussage etwas ausgelöst. Direkt nach dem Lesen des Buches wusste ich, dass ich meinen damaligen Blog schließen musste, was ich Anfang Januar 2014 tat. Etwa einen Monat später hatte ich die erste Erfahrung des leeren Bewusstseins beim Aufwachen. Anfang November 2014 erlebte ich dann eine ganze Serie an Erfahrungen und Erkenntnissen, die innen einiges verändert haben. Seitdem bin ich ich in diesem stabilen Zustand und in der Lage den Verstand zu beherrschen. Allerdings steckte ich dann ein Jahr lang in diesem Zustand fest, aus dem ich nur deshalb heraus kam, weil mich eine starke Sehnsucht weiter trieb.

Es braucht einen inneren Impuls, der das Aufbruchsignal gibt – und diesem muss man kompromisslos folgen. Und da es bei mir so ist, dass ich nie mehr als eine Sache gleichzeitig wirklich gut machen kann, ohne mich zu verzetteln, liegt meine Schwerpunkt auf der Selbsterkenntnis. Für mich gibt es nichts wichtigeres. Diese Welt ist so etwas wie ein Kindergarten (Vorschule), in dem die Menschen lernen, als Mensch zu leben.

Wenn dann aber das innere Aufbruchsignal erfolgt, muss man sich nach innen umorientieren – und/oder nach innen weiter gehen, um sich selbst zu fühlen und zu erkennen. Man kann zwar nach außen und innen gleichzeitig schauen – aber wirklich arbeiten kann man am nur dort, wo der Fokus der Aufmerksamkeit und Konzentration liegt: innen oder außen. Später, wenn die Zentren stabil und selbsterkennend sind und die Hingabe automatisch erfolgt, kann man die Aufmerksamkeit wieder mehr nach außen wenden.