Tun oder nicht tun?

Die Frage, ob es etwas zu tun gibt oder nicht, hat nichts damit zu tun, ob es tatsächlich etwas zu erreichen gibt oder nicht. Dass jeder Bewusstsein ist, sollte jedem klar sein, der hier liest. Und dass man nicht zu dem werden kann, was man schon immer ist, ebenfalls. Man kann also niemals zu Bewusstsein werden, es herstellen oder verbessern, weil es schon da ist – denn wenn es nicht da wäre, gäbe es kein Wesen.

Es gibt also nichts zu erreichen, was man schon ist. Aber – wie sieht es im Kopf aus? Ist es da still und leer, bist du im Stillpunkt, bist du der Stillpunkt, bist du Bewusstsein? Erlebst du dich grenzenlos ausgedehnt oder im Kopf eingesperrt? Bist du vielleicht nur eine Ansammlung chaotischer Gedanken, Emotionen und Gefühle und völlig unfähig, Ruhe und Glück in dir selbst zu finden? Wohlgemerkt – ohne zu laufen, auf Berge zu steigen oder Extremsport zu betreiben – also ohne in den Flow zu kommen, heiße Schlitten zu fahren und heiße Bräute abzuschleppen? Kannst du glücklich sein, wenn die Welt gerade neben dir explodiert? Kannst du glücklich sterben?

Nein? Und dann glaubst du allen Ernstes, was viele Neo-Advaita-Satsang-Leute behaupten, dass es nichts zu tun gibt? „Nichts zu tun“ gibt es dann, wenn da keine Vorstellung einer unabhängigen Existenz mehr ist, die tief im Körper-Bewusstsein eingebettet ist und nicht so leicht weg geht.

Es geht hier nicht darum, ob ein spirituelles Ego entsteht oder nicht – das wird ganz am Schluss demontiert. Es geht darum, dass im Kopf dauerhafte Stille einkehrt – und die Dauerhaftigkeit kommt nicht einfach so – sie kann aber auch nicht gemacht werden.

Das ist ein Akt der Gnade! Aber kommt die auch zu einem, der sagt: Ich bin schon da und muss nichts tun? Kann sein – kann aber auch nicht sein. Hier war es nicht so.

Hier war es so, dass etwas getan werden musste, was zwar temporär erfolgreich war aber nicht dauerhaft. Der Versuch, es dauerhaft zu machen, führte zu akuter Verzweiflung, weil erkannt wurde, dass „ich“ das nicht kann. Und das führte letztlich zur Aufgabe und was wiederum einige Tage später zur Gnade führte.

Und heute, viereinhalb Jahre später, ist der Unterschied zu früher so gewaltig, dass er gar nicht mehr ausgedrückt werden kann, wenn nicht Superlative verwendet werden. Früher war hier brüllendes Chaos, viele Stimmen, die gleichzeitig geschrien haben. Die „Ruhe„, die da war, hatte gefühlte 100 dB. Heute ist hier zu 95% Stille mit nahezu 0 dB und stilles Glück. Die Lebensqualität ist im Vergleich zu früher erheblich gewachsen – weil „sich einen Kopf machen“ kaum noch vorkommt.

Erst vor kurzem wurde erlebt, dass sogar Schmerz nur ein Konstrukt ist, der dekonstruiert werden kann. Von Gedanken-induziertem Leid spreche ich gar nicht mehr, weil das ohnehin sofort beendet wird, wenn es auftritt. Es geht tatsächlich nur um den nackten Körper-Schmerz. Es wäre früher vollkommen unmöglich gewesen, die Gedanken-haftigkeit von Schmerz aufzudecken, weil es keine fünf Sekunden still war im Kopf.

Diese extrem subtilen Wahrnehmungen können nur in vollkommener Stille gemacht werden, wenn da nur Stille ist und der Schmerz. Dann kann er untersucht werden, dann kann man mit ihm verschmelzen und erkennen, dass das gar nicht schmerzhaft ist, dass es das Gehirn ist, was den Schmerz auf den Körper projiziert. Das wurde bemerkt, als der Schmerz mit „Gedanke“ gelabelt wurde. Es war der natürliche Selbstzerstörungs-Mechanismus der Gedanken der den Schmerz zerstört hat, als er mit „Gedanke“ benannt wurde. Schmerz ist der Glaube, dass es schmerzt. Und ein Glaube basiert auf Gedanken.

Potentiell kann jeder alles, weil jeder das Ganze ist, das sich durch diesen individualisierten Punkt ausdrückt. Aber potentiell kann jeder auch ein Ingenieur und Mathematiker sein der Differentialgleichungen lösen oder eine Fouriertransformation durchführen kann. Aber das funktioniert erst dann, wenn man es gelernt und lange genug praktiziert hat.

Mit den inneren Fähigkeiten ist es exakt das gleiche. Stille ist immer da aber es braucht Übung, um sie zu erreichen und zu halten. Stille ist ein anderes Wort für Transzendenz – für das Überschreiten des Denkens. Das ist das Ziel des Yoga bzw. der objektlosen Meditation.

Wer glaubt, dass nichts getan werden muss, der bezeichnet Patanjali und Buddha als „Verrückte„, die völlig unnötig jahrelang still gesessen waren. Und beide haben auch nach dem Auftreten des vollkommenen Klarblicks Training gelehrt. Waren sie wirklich Betrüger oder Lügner? Nein, sie wussten, dass Stille und Stabilität die Grundlage alles Weiteren sind – und nicht einfach so kommen

Man kann sich natürlich auch mit vielen Schreihälsen im Kopf zufrieden geben und gar nichts tun. Diesen Zustand nennt man Leiden. Aber man muss sich ja nicht damit zufrieden geben. Genau so, wie man den Körper angemessen trainiert und reinigt, um ihn gesund zu erhalten, kann man auch sein Inneres angemessen trainieren und reinigen. Und da du nicht dein Körper bist, sondern Bewusstsein, wäre es doch viel wichtiger, dein Inneres, als den Körper zu trainieren – der nur eine Er-Scheinung im Bewusstsein ist.

Man kann also sagen: Niemand muss meditieren, um Bewusstsein zu werden, denn er ist es schon. Niemand muss Selbst-Erkenntnis betreiben, denn er ist schon das, was er immer war und immer sein wird. Jeder kann einfach so leben, wie er schon ist, ohne zu meditieren oder auf den inneren Ton zu hören. Wer damit zufrieden ist, darf damit zufrieden sein – das ist sein natürliches Recht!

Aber wenn einer entdecken will/muss, was er wirklich ist und erkennen will, was die Welt ist und was sie zusammen hält und wie sie funktioniert – wie es hier ist – dann muss er in Stille verharren und das muss geübt werden. Andernfalls bewegt sich überhaupt gar nichts.

Es gibt auch Fälle, wo das alles einfach so passiert, aber das sind sehr seltene Ausnahmen, wie zB Maharshi, den „es“ im Alter von 16 Jahren „kalt erwischte„.

Andererseits ist es ja kein Zufall, dass Maharishi Mahesh Yogi mit seiner TM-Meditation Millionen von Menschen zum Meditieren gebracht hat und dass seitdem immer mehr Menschen aufwachen. Das liegt einfach daran, dass viele erst durch das Erleben von Transzendenz erkennen, was Bewusstsein und die Leere eigentlich ist. Und die erlebt man nur in müheloser Meditation.

Die Masse macht es – warum? Weil nicht der Mensch zu sich aufwacht, sondern das Bewusstsein vom Menschen – und es gibt nur EIN Bewusstsein/Gewahrsein. Und logischerweise wacht das immer schneller auf, je mehr im globalen Feld die Information und Erfahrung von „Aufwachen“ verfügbar wird. Das bedeutet, je mehr einer mühelos tut, um „persönlich“ aufzuwachen – was letzlich fruchtlos ist, weil nicht „er“ aufwacht – umso mehr hilft er dem globalen Bewusstsein, an möglichst vielen Stellen zu sich selbst aufzuwachen.

Letztlich gilt: Wer meditieren muss, wer auf den inneren Ton hören muss, der muss und wird genau das tun. Und wer das nicht muss, wer keinen Druck und Drang dazu spürt – der sollte sich auch nicht dazu zwingen.

Letztlich gilt aber auch: Alles resultiert aus Selbst-Anstrengung: Hätte „ich“ das Haus, den Wintergarten und das Gewächshaus nicht gebaut, gäbe es das alles nicht. Und hätte „ich“ nicht auf den inneren Ton gehört und wäre nicht daran verzweifelt, dann wären heute noch 100 dB im Kopf.

Aber – gibt es überhaupt jemanden, der tun kann, was er will – oder nicht tun kann, was er tun muss?

Wenn dem so ist, dann wäre dieser Beitrag sinnlos – aber auch das Schreiben kann nicht verhindert werden, wenn es geschehen will. Letztlich gibt es aber weder „sinnvoll„, noch „sinnlos“ – es gibt nur das, was geschieht und die Reaktion (Gedanken, Emotionen, Leid) oder Nicht-Reaktion (Stille, Glück) darauf. Was geschieht kann kaum beeinflusst werden – aber die Reaktion darauf schon – durch Übung.

Leben = Praxis