Selbsterkenntnis passiert von selbst

An meinem eigenen Beispiel erkennt man sehr genau, dass Selbst-Erkenntnis von selbst passiert. Alles, was hier bisher geschah, passierte von selbst und erst anschließend wird jeweils geschaut, um welche Erfahrung es sich handelt. Damit wird sämtlichen Übungen der Boden unter den Füßen weg gezogen.

Wenn man dagegen vorher weiß, was einen erwartet, dann besteht die Gefahr, dass man eine Idee davon entwickelt und phantasiert oder visualisiert vielleicht die Erfahrung, ohne sie tatsächlich zu erleben. Hier dagegen gibt es keinerlei Wissen davon, was noch passieren wird. Ich schaue einfach zu.

Das wird auch durch den folgenden Vers ausgedrückt, denn wenn alles nicht-dual und perfekt ist, dann MUSS ALLES von SELBST geschehen:

Das Wesen der Vielfalt ist nichtdual
und die Dinge an sich sind rein und einfach;
hier und jetzt zu sein ist gedankenfrei
und es scheint in allen Formen, immer alles gut;
es ist schon vollkommen, so wird die strebende Krankheit vermieden
und Spontaneität ist ständig präsent.

The nature of multiplicity is nondual
and things in themselves are pure and simple;
being here and now is thought-free
and it shines out in all forms, always all good;
it is already perfect, so the striving sickness is avoided
and spontaneity is constantly present.

Tibetisch:
sNa tshogs rang bzhin mi gnyis kyang
Cha shas nyid du spros dang bral.
Ji bzhin pa zhes mi rtog kyang
rNam bar snang mdzad kun tu bzang
Zin bas rtsol ba’i nad spangs te
Lhun gyis gnas pas bzhag pa yin.

Der Vers stammt von Vairotsana


Für mich sehen die Lehren des Dzogchen und auch anderer Traditionen mittlerweile so aus, als ob da ein oder mehrere fähige Praktizierende ihre Erfahrungen aufgeschrieben oder diktiert haben. Nach ihrem Tod haben die Nachfolger versucht, aus diesen Erfahrungen einen Weg zu machen. Das ist aber nichts anderes, als das Pferd von hinten aufzuzäumen und das kann letztlich nicht funktionieren.

Was das Ganze ursächlich auslöst ist die direkte und spontane Erfahrung des Gewahrsamkeits-Raumes. Aus dieser Erfahrung resultiert die Erfahrung der Leere (leer von Objekthaftigkeit) und daraus die Erfahrung der Gleichheit.

Die Lichtphänomene erscheinen auch selbstständig. Daher ist es nur logisch, dass Dzogchen versucht, den Aspiranten dahin zu bringen, die räumliche Leere des Gewahrsamkeits-Raumes direkt zu erfahren und dann möglichst darin zu bleiben. Alles andere folgt dann von selbst.

Wenn ich mich nicht täusche, gibt es im Dzogchen zwei Grund-Techniken: Trekchö – das ist zB die Konzentration auf den leeren Himmel (Sky-Gazing), um den Verstand erst einmal zu beruhigen und ein Gefühl zu vermitteln, wie sich der Raum zwischen den Gedanken anfühlt. Das entspricht dem Hören auf den inneren Ton, was hier durchgeführt wurde.

Dann kann es es zu einem Durchbruch zum reinen Gewahrsein kommen. Wenn das erreicht ist, muss man lernen, darin zu bleiben – das nennt sich Thögal.

Letztlich ist das, was bei mir passiert, identisch mit dem Dzogchen-Prozess – aber das ist mir gerade erst klar geworden. Ich habe vier Jahre gebraucht, um zu begreifen, was das ist, was da mit mir passiert und wo ich überhaupt bin. Und erst dieses grundlegende Begreifen, hat ein wirkliches Vertrauen aufgebaut, dass alles gut ist und von selbst richtig läuft. Und erst dann, wenn dieses Vertrauen wirklich da ist, fängt der Prozess so richtig an. Wenn man so will, muss man existentiell erkennen, verstehen, vertrauen, loslassen und zulassen. Dann erfolgt der geistige Tritt auf das Gaspedal.

Wenn ich mich hier nicht grundlegend täusche, dann kann ein vom Verstand getriebener Weg gar nicht funktionieren – denn dann ist man auf der falschen Seite – auf der Seite der Erscheinungen. Um den Prozess zu starten, muss man auf die Seite des Gewahrseins wechseln – vom Inhalt zum Behälter. Somit darf man die Schriften nicht vorher lesen – sie taugen nur dazu, um sich nach gemachten Erfahrungen zu orientieren und um den Verstand zu beruhigen, wie es hier gemacht wird.

Wahrscheinlich hört auch das irgendwann auf…