Ablenkung vom Innenraum

Das heutige Leben der Massen-Menschen besteht fast nur noch aus Ablenkungen. Es scheint aber noch Menschen zu geben, die das merken und sich diesem Trend verweigern. Gerade habe ich einen Artikel eines Fokus-Autoren entdeckt, der noch ein altes Nokia-Handy 3310 besitzt und kein Smartphone. Mein Handy ist noch älter, es ist ein Nokia 1112 Baujahr 2007, das außerdem fast immer abgeschaltet ist. Es macht genau das, was ich will: es lässt mich in Ruhe, wenn ich meine Ruhe haben will, also fast immer – und es ist bereit, wenn ich mit jemanden in Verbindung treten will, also fast nie.

Ich brauche keine Ablenkungen, ich bin lieber bei und mit mir selbst. Das, was andere so scheuen und wovor sie fliehen, das liebe ich zutiefst: meine innere Stille und Leere. Wenn ich einen Baum anschaue, dann ist da kein inneres Gequatsche: „Baum„, „Eiche„, „Blätter„, „schön„… Da ist nur die Stille, welche andere Stille sieht, mehr nicht. Wenn ich höre, dass ein Mensch stirbt, dann ist da keine Trauer, sondern Stille. Wenn ich höre, dass ein Mensch geboren wurde, dann ist da keine Freude, sondern Stille.

Ein Eindruck taucht in der Stille auf und vergeht wieder in ihr. Übrig bleibt immer nur die Stille und Leere. Wenn ein Problem behoben werden muss, kommt es manchmal zu Ärger, wenn das Problemlösungs-Ego auftaucht und die Dinge nicht so laufen, wie sie sollen. Gestern zum Beispiel musste ich das Ablass-Ventil des Wohnmobils ausbauen, da der Betätigungs-Bolzen abgebrochen war. Ohne Grube kommt man fast nicht an das Ding dran – aber letztendlich hat es doch geklappt. Sobald das Problem behoben war, verschwand alles, inklusive Ego, in der stillen Leere des Innenraumes.

Das ist unverändert so, seit meinen Erlebnissen im Jahr 2014: Da ist Stille, dann kommt äußere und innere Aktivität auf und wenn die beendet ist, dann sinke ich zurück in Ruhe, Stille und Leere. Es ist faktisch so, dass der stille Hintergrund, den ich früher nur erahnen konnte, in den Vordergrund getreten ist. Und der ehemals laute Vordergrund hat seine Macht über mich verloren und taucht nur noch auf, wenn gedankliche Aktivität vonnöten oder erwünscht ist – aber nicht als mich beherrschende Aktivität, sondern von mir tolerierte und gewünschte Aktivität. Ich bin buchstäblich zum Herren über den Verstand und die Gedankentätigkeit geworden – dessen Sklave ich jahrzehntelang war.

Vielleicht betäuben sich die Ablenkungs-Junkies deshalb mit ihren Spielereien, weil sie wissen, dass sie innen mit dieser beinahe unheilbaren Seuche belastet sind. Sie haben keine Ahnung, wie reich und tief dieser innere Raum und wie schön die Stille ist. Die Welt wird erst dann richtig schön, wenn man sie aus der Stille heraus betrachtet und sie darin einsinken und versinken lässt. Dann wird man zum bewussten Hintergrund aller potentiellen Vordergründe, die darin auftauchen und wieder vergehen. Und das ist keine Aktion, keine Mühe, kein Handeln, überhaupt nichts, was „getan“ wird – es geschieht einfach so…