Ursache des Leidens

Heute morgen, vor der Meditation, kam mir spontan hoch, was die Ursache für Leiden ist. Mir war das zum größten Teil schon klar gewesen – aber ein wichtiges Detail hatte noch gefehlt, das sich da gezeigt hat. Was ist Leiden? Das Gefühl des Leidens basiert auf innerer Reibung, die daraus entsteht, dass sich ein Mensch nicht mit den Gegebenheiten abfinden kann, die er in seinem Leben vorfindet. Worauf basiert die Reibung? Auf Vorstellungen und Ideen, die ein Mensch in seinem Kopf ausbrütet, wie das eigene Leben aussehen sollte und die natürlich niemals so sind, wie das eigene Leben tatsächlich ist, sondern „besser„.

Warum entsteht daraus Leiden? Etwas ist „schief gelaufen„, also nicht so, wie der Mensch sich das gedacht hat – und dann kommen Gedanken auf, zum Beispiel: „Diese Chance hättest Du wahrnehmen können, wenn du das anders gemacht hättest oder früher reagiert hättest.“ Dieser Gedanke im Kopf, erzeugt Emotionen in der Psyche, die den Menschen sich schlecht fühlen lassen, denn er hat ja offensichtlich „versagt„. Die Emotionen erzeugen Schmerzen im Körper, vielleicht beginnt der Bauch, weh zu tun, der Körper fühlt sich nicht mehr „gut“ an, der Mensch lässt die Schultern hängen und verliert „seinen Antrieb„.

Diese psychischen und körperlichen Schmerzen und Unwohlgefühle erzeugen weitere Gedanken in der Art: „Schau Dir nur an, wie Du dich jetzt fühlst!“ Du bist doch ein Versager, diesen Fehler hast Du doch schon so oft gemacht. Das musst Du das nächste Mal besser machen! Aber das kannst Du ganz bestimmt wieder nicht, denn Du machst ja nie etwas wirklich richtig.“ Diese Gedanken erzeugen neue Emotionen, die wiederum die bereits vorhandenen Schmerzen im Körper verstärken. Das Leiden, das aus so einem „negativen“ Rückkoppelungs-Kreislauf entsteht, ist nichts anderes, als eine Selbstbestrafung.

Es gibt diesen Rückkoppelungseffekt aber auch in einer „positiven“ Form, die dann eine zukünftige Handlung betrifft, zum Beispiel: „An diesem Tag will ich das tun. Ich muss mich diesmal bemühen, dass ich es besser mache, damit ich endlich einmal Erfolg habe. Aber das schaffe ich bestimmt, denn diesmal weiß ich ja, was beim letzten Mal schief gelaufen ist und warum – und wenn ich das beachte und mich nur richtig anstrenge, dann schaffe ich das auch!

Solche „aufbauenden“ Gedanken erzeugen positive Emotionen, die wiederum positive Gefühle im Körper bewirken. Der Mensch fühlt sich gut und stark, will das Gewünschte endlich tun und kann es kaum noch erwarten. Solch eine „positive“ Rückkoppelungs-Schleife entspricht einem Selbstantrieb. Dieser muss aber letztlich wieder zu einer „negativen“ Rückkoppelungs-Schleife führen, denn es kann keinen ununterbrochenen Erfolg geben – und schon gar keinen, an dem das Spiegelbild irgend einen Einfluss hätte. Beide Arten von Rückkoppelungs-Schleifen werden sich also jeweils immer gegenseitig auslösen.

Jeder, der nur einigermaßen ehrlich zu sich selbst ist, wird diese Mechanismen bei sich selbst schon am Werk gesehen haben. Und genau diese Mechanismen erzeugen das Leiden. Es gibt schlicht und einfach keine andere Ursache dafür, als solche Rückkoppelungs-Kreisläufe. Wenn ein Mensch keine innere Reibung mehr aufbaut, weil er diese Mechanismen kennt und weil er sich selbst kennt und weiß, dass er nicht „der Mensch im Spiegel“ ist, sondern derjenige, der den Menschen, samt Spiegel und Umgebung in seinem Bewusstsein sieht – dann kann gar kein Leiden mehr entstehen!

Stellen wir uns vor, dass ein Mensch, der sich wirklich kennt, einen Unfall erleidet. Er ist kurz abgelenkt weil eine Katze über die Straße rennt, übersieht ein Auto, das Vorfahrt hat und es kommt zu einem Blechschaden. Wie würde er reagieren, was würde er fühlen, wie würde er damit umgehen? Vielleicht würde er wegen des auftretenden Schocks im ersten Augenblick den Kontakt zu sich selbst verlieren, sich mit dem Spiegelbild identifizieren, emotional reagieren und sich selbst verantwortlich machen. In dem Moment, in dem er aber wieder seine innere Subjektivität fühlen kann, wird er wieder wissen, wer er wirklich ist und wird den inneren Rückkoppelungs-Kreislauf sofort fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel.

Wie geht das? Er fühlt sich einfach selbst, in sich selbst und geht ganz in dieses Gefühl hinein – und in dem Moment enden alle Gedanken, die den Antrieb bilden für sämtliche Rückkoppelungs-Kreisläufe. Bei einem Menschen, der bereits total in sich selbst gegründet ist, wird nicht einmal mehr den Rückkoppelungs-Kreislauf starten, weil er immer ganz bei sich ist. Das hat nichts mit einer „auszuführenden Handlung“ zu tun oder mit „Selbstbeherrschung„, wie das oft dargestellt wird. Wer ununterbrochen und voll bewusst seine Ich-Zentren verkörpert und fühlt, kann unmöglich so einen Rückkoppelungs-Kreislauf aufbauen – denn so ein Kreislauf basiert immer auf einem unbewussten Antrieb. Bewusstheit vertreibt alle Unbewusstheit – wie selbst die kleinste Flamme die tiefste Dunkelheit vertreibt.

Wer eins mit sich selbst ist und weiß, wer er ist, der verwechselt sich nicht mehr mit dem „Menschen im Spiegel„. Und wer das nicht mehr tut, für den ist das Leiden beendet. Er wird auch dann nicht leiden, wenn er starke Schmerzen aushalten muss. Die Schmerzen fühlt er, aber nicht mehr den inneren Widerstand, aus dem der Leidens-Kreislauf entsteht. Das gleiche gilt auch für den Gegenpart des Leidens: starke Freude.

Sowohl Leiden als auf Freude basieren darauf, dass sich jemand mit dem „Menschen im Spiegel“ verwechselt. Bleibt der Mensch in sich selbst vollkommen bewusst und fühlt sich ununterbrochen selbst, dann bleibt auch der innere Blick ununterbrochen und klar auf die Erscheinungs-Welt, auf seine eigene Subjektivität, also sich selbst – und auf das Absolute gerichtet. Dann kann zu keinem Zeitpunkt eine Verwechselung mit dem Spiegelbild geschehen. Und wer sich nicht mehr mit dem Spiegelbild verwechselt, der muss auch nicht unter den Umständen leiden, die im Spiegelbild zu sehen sind, denn er weiß, wer er ist, dass er selbst unendlich ist und das Spiegelbild nur eine vorübergehende, endliche Erscheinung in seinem Bewusstsein – wie die Spiegelung eines vorbei fliegenden Vogels auf der Wasseroberfläche.

Heute Morgen wurde der gesamte Kreislauf, wie in einer Art Vorführung, mehrmals vollkommen bewusst durchlaufen, so dass ich die einzelnen Bestandteile deutlich sehen konnte, da hat es „Klick“ gemacht. Die Schlechtgefühle, Emotionen und ursächlichen Gedanken haben sich in einem einzigen Sekundenbruchteil in Nichts aufgelöst und dann war ich frei. Das bedeutet nicht, dass sie nicht wieder kommen können – sie werden solange wieder kommen, bis meine Identität sich unwiderruflich mit der inneren Subjektivität verbindet und es zu keiner Verwechslung mehr kommt.

Leiden und starke Freude basieren auf der Verwechselung mit dem Spiegelbild, was einen Rückkoppelungs-Kreislauf in Gang setzt aus Gedanken, Emotionen und Körpergefühlen.

Hinweis: Es nutzt nichts, nur die Gedanken alleine zu stoppen, wenn man in so einem Kreislauf drin hängt – man muss die ganze Ursachenkette sehen und erkennen und erst dann fällt alles auf einmal weg. Ansonsten stoppen die Gedanken aber die Emotionen und Schlechtgefühle bleiben noch und ebben nur langsam ab, denn die kann man nicht so einfach stoppen.