Selbstliebe

Es gibt einen bekannten Spruch: Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst. Dieser Spruch verdreht die Wahrheit um 180 Grad und erhebt zudem eine Forderung, die völlig an der Realität vorbei geht und die niemand erfüllen kann, der „einen Nächsten“ sieht. Man kann nur dann wirklich lieben, wenn man keinen Nächsten sieht, sondern nur „Ich“ – aber natürlich nicht im egoistischen Sinne – sondern im universellen.

Wo ist Selbstliebe? Im Verstand? In Emotionen? Nein! Selbstliebe scheint genau dann auf, wenn man seine pure Aufmerksamkeit mit seinem Ich vereint und mischt. Selbstliebe ist exakt im Kern des Ich – besser: Selbstliebe ist der Kern des Ich. Hier ist selbstverständlich nicht das relative, objektverhaftete, egoische Ich gemeint, sondern das reale Ich des Bewusst-Seins, des bewussten Ich-Seins.

Diese Liebe kann man nicht machen – jeder Versuch, Selbstliebe zu erzeugen ist nichts anderes, als das Absondern süßlicher Emotionen – reiner Schmalz. Echte Selbstliebe  ist inhärent im Kern des Ich-Gefühls vorhanden, bzw. ist identisch mit dem Wesenskern und kann nur durch die Vereinigung der reinen Aufmerksamkeit mit ihrer Quelle – eben diesem Kern – gefunden werden. Das konnte ich gestern Morgen verifizieren.

Der Spruch: Das Auge kann das Auge nicht sehen, ist hundertprozentig korrekt. Aber es fehlt ein Teil dabei – vollständig muss der Spruch lauten: Das Auge kann das Auge nicht sehen – aber das Sehen kann mit seiner Quelle, dem Auge, verschmelzen und damit zum Auge werden.

Genau das ist es, um was es tatsächlich geht. Das Werden, von dem hier gesprochen wird, ist Selbst-Werdung – ununterbrochene Hingabe an sich selbst. Diese Hingabe erzeugt aus sich selbst heraus ein höheres Wesen, das vor dem Beginn der Hingabe nur rudimentär vorhanden ist. Findet die Hingabe aber statt und wird die Liebe gefunden und als als der Kern des Ich, des eigenen Wesens erkannt, dann ist das die eigentliche Geburt des höheren Wesens – oder der Seele.

Ich bin jahrzehntelang an mir selbst vorbei getappt und in den Jahren, während ich mich mit Advaita und anderen östlichen Lehren befasste und von dieser Doktrin nahezu gehirngewaschen wurde, habe ich mich noch mehr verloren. Das ging selbst dann noch weiter, als ich nach der „zweiten Geburt“ in einem absolut stabilen Zustand jenseits des Verstandes gelandet bin – indem ich nicht erkannte, wer diesen Zustand erlebt. Zwar fühlte ich ein Ich-Gefühl – aber ich wollte es gar nicht fühlen, denn ich glaubte ja zu wissen, dass dieses Ich-Gefühl identisch mit dem Ego ist.

Aber das ist vollkommen falsch! Das Ich-Gefühl ist das Gefühl der eigenen Existenz und es ist logischerweise in jedem Wesen vorhanden – wenn auch bei 99,99% aller Wesen unbewusst. Aber auch dann, wenn man sich der eigenen Existenz bewusst ist, das Ich aber nicht fühlen will oder kann, ist dieser Zustand völlig unpersönlich – genauso, wie wenn man sich der eigenen Existenz nicht bewusst ist.

So gesehen gibt es keinen Unterschied zwischen einer Bewusstheit, in der das Ich nicht gesehen oder ignoriert wird und einer vollkommenen Unbewusstheit. Mit einer Ausnahme: Die Bewusstheit hat die Möglichkeit das eigene Ich, den eigenen Wesenskern zu erkennen und sich mit ihm zu vereinigen – die Unbewusstheit hat diese Möglichkeit nicht.

Aber obwohl ich den unpersönlichen und kalten Zustand vollkommen bewusst registrierte, und darunter litt, konnte ich keinen Weg aus diesem Zustand finden, da ich dessen Ursache nicht erkannte. Am Anfang dachte ich sogar noch, das müsse so sein – aber das zunehmende Gefühl, dass da etwas nicht stimmt, brachte mich dazu, immer weiter zu suchen, bis ich die Ursache fand und den Weg zu mir selbst.

Jetzt weiß ich, dass der Weg definitiv nicht in die Unpersönlichkeit und in die Nicht-Existenz führt, sondern in eine absolut intime Beziehung mit mir selbst. Zwar habe ich die Anregungen dazu auf Anadi’s Webseite gefunden – aber die eigentliche Erfahrung stammt von mir selbst. Das muss auch so sein, denn jeder Mensch ist ein Unikat und jeder einzelne Lebensweg muss sich daher von dem aller anderen Menschen unterscheiden. Daher ist es völlig falsch, irgend ewas oder irgend jemanden zu kopieren – denn damit wird man nur zu einer billigen Kopie. Jeder Mensch muss ganz individuell er selbst werden.

Das gilt zwar in gewissem Sinne für alle Wesen – da aber 99,99% aller Wesen das kollektive Unbewusstsein teilen und kein eigenes Bewusstsein ihrer Existenz und ihres Ich besitzen, können sie auch nicht wirklich individuell sein. Sie sind kollektivistisch – das ist auch der Grund für die massenhafte Zustimmung zum Sozialismus. Alle „Ismen“ sind kollektivistisch. Ein echtes Individuum kann niemals einen „Ismus“ bilden, das kann immer nur eine große Masse – die Masse.

Es ist völlig sinnlos, unbewusste Menschen der Unbewusstheit zu bezichtigen, denn dort, wo nur Unbewusstheit ist, da ist niemand. Und wo niemand ist, kann auch niemand bezichtigt werden. Daher findet sich in einem unbewussten Menschen weder ein Handelnder, noch ein Verantwortlicher. Das gilt auch für Menschen, die schon in gewisser Weise bewusst sind – aber ihr Ich noch nicht bewusst realisiert haben und mit ihm verschmolzen sind.

In einem unbewussten Menschen gibt es keinen bewussten Denker – dort gibt es nur eine unbewusste Struktur des ununterbrochenen Denkens und Objektivierens. Dieser ununterbrochene Strom von Objekten definiert das Selbstverständnis eines solchen Wesens und wenn dieser Strom von Objekten abbricht, dann schläft das Wesen entweder ein oder erfährt einen Moment von „mystischer Stille“, den es vielleicht anschließend in seinem Tagebuch fest hält. Es gibt keinen Verstand – „der Verstand“ ist nichts anderes, als der unbewusste Strom von geistigen Objekten, mit dem sich en unbewusstes Wesen identifiziert, weil es keinen stabilen und bewussten Ich-Bezugspunkt jenseits dieses Objekt-Stromes hat.

Daher findet man auch keinen Verstand, wenn die Gedanken tatsächlich einmal schweigen. Da ist dann einfach gar nichts – aber da dann jeglicher innere Bezugspunkt fehlt, fällt man sofort wieder in das gewohnte Verhalten zurück. Um den unbewussten Gedankenstrom tatsächlich dauerhaft zu überschreiten und letztendlich zu beherrschen, muss es eine feste Operationsbasis jenseits dieses Objekt-Stromes geben. Das kann nur das bewusste Ich sein – bewusstes Ich-Sein. Aber damit dieser Zustand nicht unpersönlich bleibt, muss das reale Ich als der eigentliche Wesenskern erkannt werden und es muss die bewusste Intention da sein, mit diesem Ich zu verschmelzen – was dann auch geschehen muss!

Nochmal: Es ist extrem wichtig, zu erkennen, wer präsent ist und erfährt! Zu sagen: „Da ist kein Ich“ ist einfach nur dämlich (damit meine ich mich), weil natürlich jemand da sein muss, der das erkennt und sagt. Genau dieser „Jemand“ ist das Ich – bin Ich. Damit ist nicht das egoische, objektverhaftete Ich gemeint, sondern das eigentliche Ich, der Kern des eigenen Wesens!

Dieses eigentliche Wesen ist jenseits des Körpers! Das, was in diesem Körper als Bewusstsein und Ich aufscheint, ist nur ein winziger Teil dessen, der sich dort verkörpert hat. Das erkennt man aber erst dann, wenn das eigene Ich verkörpert wurde und beginnt, sich an das universelle Ich hinzugeben. Wenn das statt findet und vollkommen stabil wird, dann kann man wieder sagen, dass in dem Körper kein Handelnder und kein Verantwortlicher ist, denn da das individuelle Ich sich dem universellen Ich ununterbrochen hingibt, funktioniert der Körper aus der universellen Ebene heraus und nicht mehr aus der individuellen Ebene. Da bin ich aber noch nicht – zwar findet Hingabe statt – aber sie ist bei weitem noch nicht so stabil, wie mein Grundzustand der Stille.

Jetzt könnte jemand auf die Idee kommen, dass ich das alles freiwillig mache – aber obwohl ich dazu einmal eine bewusste Entscheidung gefällt habe, war selbst diese Entscheidung nicht wirklich freiwillig. Denn ab einem bestimmten Zeitpunkt wusste ich völlig klar, dass es der Sinn meines Lebens ist, mich selbst zu finden und mein absolutes Potential zu realisieren – und nicht nur irgenwie wischi-waschi – sondern hundertprozentig und vollkommen. Und wer das wirklich fühlt und weiß, der hat nicht wirklich eine Wahl!

Mein eigentliches Potential ist nicht hier, auf dieser Ebene – es kann nur hier realisiert werden – aber wirklich gelebt werden kann es nur jenseits von hier. Man muss das Ich auf allen Ebenen erkennen und sich selbst damit verschmelzen – damit man in der Lage ist, sich selbst vollkommen bewusst an die absolute, universelle Ebene hinzugeben. Das ist der Sinn von Selbsterkenntnis – und das ist der Beginn einer unendlichen Reise in alle Dimensionen des Seins – und es ist der Sinn meines Lebens, diese unendliche Reise anzutreten…