Die Natur des Bewusstseins

Das Bewusstsein ist ursprünglich leer. Das sagt einem, der ununterbrochen denkt, erst einmal überhaupt nichts. Das Bewusstsein ist das, in dem die Gedanken aufsteigen und wieder vergehen. Das ist schon deutlicher. Das Bewusstsein wird als „leer“ und „dunkel“ erkannt, wenn du nicht denkst. Das ist sehr deutlich.

Das Bewusstsein ist eine Art leerer Behälter, wie ein Raum, aber es hat keinerlei Eigenschaften, an denen man es erkennen kann. Daher gibt es viele Namen dafür: Bewusstsein, Gewahrsein, Geist, Mind

Aber diese verschiedenen Namen erzeugen nur Unsicherheit. Aus einem normalen Standpunkt betrachtet, gibt es grundsätzlich zwei „Betriebsarten“ des Bewusstseins:

  1. Schaut man nach innen, dann ist Bewusstsein der Raum oder Behälter, in dem Gedanken, Gefühle und Emotionen aufsteigen und wieder vergehen. Das kann man „Nirvana“ nennen.
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  2. Schaut man nach „außen“, also außerhalb des inneren Bewusstseins, dann ist es der Raum oder der Behälter, in dem sämtliche scheinbar festen Objekte und Bewegungen erscheinen. Das kann man „Illusion“, „Samsara“ oder „Maya“ nennen.

Wenn man es vom normalen Standpunkt aus betrachtet, hat Bewusstsein also grundsätzlich zwei Modi: innen und außen. Innen ist alles nichtmaterielle, geistige, außen ist alles (scheinbar) materielle und nicht-geistige. Aber das ist aus der absoluten Sicht betrachtet, nicht korrekt!

Warum? Da es völlig offensichtlich ist, dass die „äußere Welt“ innerhalb des Bewusstsein ist, kann sie nicht materiell sein – da etwas nicht-materielles keine Materie erzeugen kann. Sie scheint nur materiell zu sein. Wenn also die innere und die äußere Welt nur im Bewusstsein sind, warum existieren dann zwei Modi des Bewusstseins?

Weil die Sinne uns diese Täuschung vorgaukeln! Wer die Übung zur Vereinigung des inneren und äußeren Bewusstseins-Raumes macht, der erkennt, dass beide Räume in Wirklichkeit nur einer sind – getrennt von der Vorstellung einer Haut, die den Körper umspannt und als Grenze zwischen dem hypothetischen „Innen“ und „Außen“ fungiert. Schaut man aber gleichzeitig nach innen und außen und praktiziert Bauchatmung, während man dem Atem bewusst von innen nach außen und von außen nach innen folgt, dann erkennt man ganz klar, dass es nur EIN Raum ist! DER RAUM. Es gibt keinen Unterschied zwischen „Nirvana“ und „Samsara“ – oder innen=außen.

Wenn man diese Übung richtig macht, dann erkennt man gleichzeitig, dass dieser Raum leer ist, dass die Objekte darin nur temporär erscheinen und wieder verschwinden. Der Bewusstseins-Raum ist leer! Das ist die wahre Natur des Bewusstseins: ein leerer Behälter, bereit zur Aufnahme beliebiger mentaler Objekte in beliebiger Anzahl. Daher der Begriff: „offene Weite“, der einen Status beschreibt, der sich exakt so anfühlt, wie er genannt wird.

Wenn man in einem Status ruhen kann, der leer von Objekten ist – oder in dem Objekte sind, die aber nicht beachtet werden und beliebig aufsteigen und verschwinden dürfen, dann ruht man in vollkommen reinem Bewusstsein=Gewahrsein. Und wenn sich dieser Zustand dann auch noch von selbst erhält, ohne dass irgendeine Mühe dafür aufgewendet werden muss, wenn sämtliche mentalen Inhalte sich schon bei ihrer Entstehung von selbst auflösen oder gar nicht mehr auftauchen, dann wird das „Buddha-Geist“ genannt, „Mahamudra“ oder „Rigpa“.

Dieser „Buddha-Geist“ ist nichts, was erlangt werden müsste – er ist immer da – er ist einfach nur der leere und reine Hintergrund der Gedanken, die „Leinwand“, auf der sie erscheinen, der „Behälter“, in dem sie auftauchen und verschwinden – der „leere Raum“, die „Leere“. Nur weiß praktisch niemand, dass er da ist und wie er erlangt werden kann, da er von fast undurchdringlichen Reihen von Gedanken und anderen mentalen Inhalten abgeschirmt wird. Um diese Gedankenreihen zu überwinden und zum reinen Bewusstsein vorzudringen, empfiehlt sich die Übung zur Vereinigung des inneren und äußeren Bewusstseins-Raumes oder das Hören auf den inneren Ton.

Das Erkennen, dass das eigene, reine Bewusstsein die „Buddha-Natur“ ist, dieses Erkennen ist absolut essentiell! Erkennt man das nämlich nicht, dann hört die Suche nie auf! Man muss völlig klar erkennen, dass das leere, absolut reine und unbefleckte Bewusstsein, der Hintergrund, auf dem alles erscheint, das Ziel der Suche ist – denn es gibt kein „anderes Bewusstsein“!

Die „kleine Erleuchtung“ besteht darin, zu erkennen, dass alles nur Bewusstsein ist. Wenn man im reinen Bewusstsein ruht, ist immer noch ein „Ich“ fühlbar aber es ist inaktiv, weil es nicht beachtet wird und keine mentalen Inhalten aufkommen oder nicht an ihnen gehaftet wird. Der nächste Schritt wäre dann die endgültige Auflösung des „Ich“ im Bewusstseins-Meer – das wird als „Realisation“ oder „große Erleuchtung“ bezeichnet.

Aber grundsätzlich wird bei keiner „Erleuchtung“ oder „Realisation“ irgend etwas gewonnen! Warum? Weil alles Bewusstsein ist, schon immer war und immer sein wird. Niemand hat sich jemals auch nur einen Millimeter davon entfernt – das wäre gar nicht möglich. Der einzige Unterschied, zwischen einem „normalen Menschen“ und einem, der „Erleuchtung“ erfahren hat, ist, dass letzterer das ganz genau weiß und im reinen Bewusstsein ruht.

Solche Erfahrungen haben Konsequenzen in Bezug auf absolutes WISSEN und anderes. Aber vom Prinzip her gibt es keinerlei Unterschiede: Ein „Buddha“ ist identisch mit einem normalen Menschen, einem Mörder, einem Politiker und einem Hundehaufen. Es gibt keinen Unterschied: alles ist Bewusstsein und alles ist im Bewusstsein.

  • Bewusstsein mit mentalen Objekten darin nennt man „Geist“ oder „Mind“ – man erkennt es an den Objekten. Es wird Geist genannt, ist aber nichts anderes, als unreines Bewusstsein.
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  • Bewusstsein ohne mentale Objekte nennt man „reines Bewusstsein“ oder „Gewahrsein“. Es ist das einfache Ruhen im Moment, hellwach aber mit leerem Kopf, die Leere des Bewusstseins gewahrend.
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  • Bewusstsein ist von der Natur der „Leere“, es ruht auf „Nichts“ und erscheint als „Nichts“ – weil es keine objektiven Eigenschaften hat.
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  • Bewusstsein ist aber nicht leer, sondern randvoll – es ist Fülle.
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  • Bewusstsein kann als „glitzerndes und wogendes Energiefeld“ wahrgenommen werden, als „ungeheurer Ozean des Bewusstseins“. Alles darin Enthaltene ist aus Bewusstsein, sind Bewusstseins-Einheiten – wenn es auch den „Wesen“ als eine Vielfalt von Formen erscheinen mag.

Da es grundsätzlich nur Bewusstsein gibt, sind alle Objekte nur Bewusstseins-Einheiten, die im leeren Bewusstsein aufsteigen und wieder vergehen. Daher gibt es keine Dualität, kein Innen und kein Außen, keine Wesen und keine Götter, keine Welt und kein Universum: es gibt nur Bewusstsein, in dem verschiedene Objekte erzeugt und vernichtet werden. Bewusstsein ist also so etwas, wie ein „Träumer“. Und da Bewusstsein leer ist und daher wie „Nichts“ erscheint und alles aus Bewusstsein gemacht ist, sprach Buddha den Satz: Alles ist Nichts und Nichts ist Alles.