Das Gewahrsein ist die Grundlage des individuellen Bewusstseins. Wenn man es meditativ erlebt, fühlt es sich an, wie ein leerer, unendlich großer Raum. Das Gewahrsein umfasst das menschliche Bewusstsein und sämtliche Gedanken, Gefühle, Objekte und Bewegungen darin. Aber es wird nicht davon berührt – die Wahrnehmungs-Bilder laufen einfach darüber hinweg und hinterlassen wieder den leeren Raum.
Dieses Gewahrsein kann man wie einen distanzierten Beobachter oder Zeugen erleben. Es ist völlig unpersönlich und hat keine Absichten oder Pläne. Es ist einfach immer da und identifiziert sich mit nichts – es ist sich nur seiner selbst gewahr.
Wenn sich dieses Gewahrsein auf eine Wahrnehmung konzentriert z.B.: auf ein Subjekt, Objekt, Körper, Welt, Gedanken, Gefühle etc., dann verengt es sich und verliert damit seine unendliche Weite. Das menschliche Bewusstsein entsteht genau auf diese Weise als Konzentration eines Teils des Gewahrseins auf das Subjekt. Der Hintergrund auf dem dies alles abgebildet wird, liegt im menschlichen Bewusstsein hinter den Gedanken und kann erfahren werden, als tiefe innere Stille.
Wenn man sich sehr entspannt, dabei seine Wahrnehmung still betrachtet und sich all dessen bewusst wird, was darin erscheint und sich dann vorstellt, dass dies alles in einem weiten Raum eingebettet ist, dann kann es sein, dass man plötzlich spürt, dass hinter den Wahrnehmungen oder darum herum etwas Weites oder Schwarzes ist. Bleibt man dabei, ohne sich bewusst anzustrengen oder irgend etwas zu machen, dann öffnet sich der Raum und wird weit. Im Extremfall lässt die Wahrnehmung der Welt und des Körper stark nach, wird immer blasser und undeutlicher, bis sie regelrecht weg schmilzt.
Bei mir fühlt es sich so an, als ob sich der Raum um „mich“ herum aufspannt. Es beginnt „hinten“ und „oben“, um sich dann immer mehr um „mich“ herum auszubreiten. Wenn es mir gelingt, soweit vorzudringen, erlebe ich das als endlos großen, leeren und schwarzen Raum. Dies kann man auch direkt nach dem Aufwachen so erleben – bevor sich irgendwelche Inhalte im Bewusstsein tummeln.
Alles, auf das sich das Gewahrsein konzentriert oder das es in Schwingung versetzt, trägt dazu bei, den offenen Raum des Gewahrseins zu verengen und das Wesen des inneren, höheren Bewusstseins zu verschleiern. Sobald man sich aber nicht mehr mit dem eigenen Ego, dem Körper, Verstand, Gedanken, Vorstellungen und Gefühlen identifiziert, erlebt man sich plötzlich als offene Weite, absolutes Gewahrsein, unermessliche Stille, reines Sein und Frieden.
Es ist immer da, unsterblich, unzerstörbar und immer gleich, egal, ob man wacht, träumt oder schläft. Aus ihm steigt alles auf und fällt wieder in es zurück. Es ist alles, was existiert, die Grundlage aller Existenz und des Lebens an sich. Wer sich bewusst damit identifiziert, der ist schon zu Lebzeiten unsterblich, denn die Welt, der Körper und die Person sind nur vergängliche und schattenhafte Wahrnehmungen im ewigen Gewahrsein.
Man muss nichts dazu tun – jeder ist immer dieses Gewahrsein oder Selbst. Wenn man die Stille aber bewusst erleben will, dann geht das nur, indem man sich des Denkens enthält oder die Gedanken ignoriert und hinter die Gedanken schaut. Das funktioniert zum Beispiel, indem man auf den inneren Ton lauscht oder einen Gedanken festhält. Man kann auch „ich bin“, „wer bin ich?“ oder „Wer sieht?“ denken und lauschen, wo im Innern dieser Gedanke aufsteigt und verklingt. Man kann auch einen dieser Sätze aussprechen oder denken und schauen, wer sich dessen bewusst ist – und sich dann an dessen Stelle versetzen.
Letztlich muss man nur das Gefühl herausfinden, wie es sich anfühlt, an der Stelle im Bewusstsein an der sich der Beobachter befindet. Wenn man einmal den Platz eingenommen hat, ist es völlig banal – aber wenn man in Gedanken versackt ist, kann man sich das nicht vorstellen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten – aber das Ziel ist immer, hinter den Vorhang aus Gedanken zu kommen. Interessanterweise ist der Zwischenraum zwischen zwei Wahrnehmungen, Gedanken, Atemzügen oder Tönen in einem Musikstück identisch mit dieser Stille, die den Hintergrund bildet, auf dem alles erscheint. Wenn man es einmal erlebt hat und es immer wieder und immer länger gelingt, dann wird es irgendwann zum Normalzustand. Diese reine, auf sich selbst gerichtete Stille, ist das Selbst.
Aber da bei den meisten Menschen unendlich viele und schnelle Gedanken und Wahrnehmungen davor herumschwirren, wie ein gigantischer Vogelschwarm, der den Blick auf den dahinter liegenden Bereich komplett verdeckt, weiß kaum einer von dieser Stille. Wenn überhaupt, erleben die meisten so etwas als mystischen Augenblick, in dem sie einmal für eine Sekunde ganz sie selbst waren. Aber sie wissen nicht, wie sie das wiederholen können, weil sie nicht wissen, wie sie dahin gekommen sind.
Und so verrinnt das Leben der meisten Menschen, sinnlos in Identifikation, Gedanken und Wahrnehmungen verstrickt. Die Stille aber wartet, bis der Tod oder irgend ein anderes Ereignis, den geistigen Lärm einmal unterbricht – dann erkennt der Mensch plötzlich…
Nachtrag:
Es gibt nichts anderes, als das Gewahrsein/Selbst, es ist überall und durchdringt alles. Auch das persönliche Bewusstsein (Geist) ist nur eine, auf das Ego fokussierte, mit Gedanken zugemüllte Form des reinen Gewahrseins:
Bewusstsein + Gedanken = Geist
Bewusstsein – Gedanken = reines Gewahrsein
Daher kann Gewahrsein = reines Bewusstsein in allen 3 Zuständen erfahren werden:
- Im Wachen, wenn die Gedanken schweigen und man sich voll seiner selbst und der Umgebungsreize bewusst ist. Das kann man „wahres Wachsein“ nennen. Das tritt bei vielen Menschen ab und zu blitzartig auf – kann aber auch dauerhaft auftreten. Wenn es dauerhaft auftritt, dann können trotz herrschender Stille und Subjektpermanenz auch Gedanken da sein – die werden dann aber in der Stille erfahren.
. - Im Traum, wenn man sich des Traumes bewusst ist – das nennt man „luzides Träumen“.
. - Im Tiefschlaf, wenn man sich nur noch des reinen Gewahrseins bewusst ist – die man auch „Leere“ nennt.