Man sagte in bestimmten Kreisen zu einem Schüler: Du bist nicht der Körper, überhaupt nichts, was Du wahrnehmen kannst. Man tat das, um ihm zu helfen, sich selbst zu erkennen, denn praktisch jeder glaubt, nur der Körper zu sein und diese Identifikation ist so unglaublich stark, dass kaum einer da raus kommt. Sobald sich die Körperidentifikation gelockert hatte – das war dann schon ein Fortgeschrittener – sagte man ihm: Du bist nicht nur Bewusstsein – sondern auch der Körper und die Welt.
Natürlich kommt keiner aus dieser Vorstellung und seinem Verstand raus, nur weil er so eine Erklärung gehört oder gelesen hat. Wenn so etwas geschieht, dann geschieht es aus sich selbst heraus, wie alles andere auch – aber nicht, weil dieser Mensch etwas getan oder gelesen hat. Wer sagt: ich bin nur Bewusstsein und habe mit dieser Welt nichts zu tun, der ist einfach nur hängen geblieben oder gibt nur das wieder, was er irgendwo gehört oder gelesen hat. So einer ist im Prinzip noch schlechter dran, als ein ganz normaler Mensch, der nichts von solchen Dingen weiß.
Das Problem mit den Verstandesmenschen ist, dass sie die Wirklichkeit nicht erkennen können, obwohl sie ununterbrochen vor ihrer Nase ist. Und weil sie die Wirklichkeit nicht erkennen können, fangen sie an, danach zu suchen. Die Philosophen – als vermeintliche Elite der Verstandesmenschen – sind noch viel schlimmer, die glauben, die Wirklichkeit erdenken zu können.
Aber niemand braucht irgend etwas zu erdenken oder zu suchen, weil jeder immerzu auf die Wirklichkeit schaut – denn die Wirklichkeit manifestiert sich in Form der Welt. Das ist die Bedeutung der Aussage: Nichts ist alles – alles ist nichts. Man könnte auch sagen: Geist ist Form, Form ist Geist. Es gibt keine Trennung – jeder ist alles, jeder ist identisch mit der Wirklichkeit – denn es gibt nur eine Wirklichkeit. Darum hat auch jeder die Verantwortung für alles. Und wer weiß, dass er die Verantwortung hat, wird sich einbringen und zwar mit allem, was er ist.
Um es auf einen Satz zu bringen: Du bist die Wirklichkeit – lebe Dein Leben, hier und jetzt, mit Mut und Kraft – und höre auf, etwas anderes sein zu wollen, als das, was Du bist!
Dann kannst Du auch stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein! Als vergeistigtes Gespenst, kannst Du das nicht!
Wäre Goethe ein vergeistigtes Gespenst gewesen – er hätte keinen einzigen Satz zu Papier gebracht. Er war aber ein mutiger, starker Mensch – weil er wusste, dass er mehr ist, als sein Körper – weil er wusste, dass er eins ist mit allem. Gleiches gilt für alle großen Musiker und Künstler. Sie schaffen großes, weil sie identisch sind mit dem großen Ganzen. Anders herum kann man es vielleicht besser verstehen: Das große Ganze schafft sich manchmal Menschen, durch das es sich besonders gut und rein ausdrücken kann. Solche Menschen sind nie schwach – auch dann nicht, wenn sie schwach aussehen, wie Gandhi. Gandhi war nicht schwach – er war ein Gigant – er befreite Indien von den Engländern, ohne einen einzigen Schuss abzugeben.
In der Bhagadvagita wird zu Arjuna gesagt, dass er nicht der Körper ist, dass er das unsterbliche Sein ist, das diesen Körper hat – und dass er deshalb heldenhaft in der Schlacht kämpfen soll – also mutig und kraftvoll leben soll. Aus der Tatsache, nicht (nur) der Körper zu sein, abzuleiten, dass man dann gar nichts zu tun braucht und nur noch faul in der Ecke herumsitzt und einschläfernde Musik hört – das ist nicht nur dumm und beschränkt, so einer ist auch lebensuntüchtig – und das widerspricht ganz massiv dem Geist der Bhagadvadgita und dem Leben. Das Leben ist vital und beweglich – ein in der Ecke Sitzender ist tot.
Tatsächlich ist die Aufgabe jedes Lebewesens – sein Leben mit vollem Mut und aller Kraft zu leben und das Beste aus sich und seinem Leben herauszuholen. Kein Bär überlässt seine Partnerin dem Konkurrenten ohne Kampf. Kein Elefant lässt sich ungestraft schlagen oder vertreiben. Jedes Tier versucht so zu leben, dass es sich bestmöglich entwickelt und vermehren kann. Und der Mensch soll versuchen egolos zu sein, nachgiebig, formbar, schwach? Das wäre dann nicht die Krone der Schöpfung sondern das Allerletzte, das am wenigsten Lebensfähige – und das ist einfach falsch. Der Mensch ist das bisher perfekteste Mittel für die Existenz, um sich auszudrücken – und so sollte er auch leben.
Man könnte glatt auf den Verdacht kommen, dass die Esoterikbewegung genau mit dem Ziel gegründet wurde, die Menschen schwach und nachgiebig zu machen. Die Botschaft lautet: Diese Welt ist nur eine Illusion – und es ist egal, was darin passiert. So können die Mächtigen schalten und walten, wie sie wollen.