Das Netz

Heute Nacht wachte ich vor ein Uhr auf und merkte sofort, dass das normale Seins-Gefühl drastisch verändert war. Anstatt in der Stille zu sein und von da aus zu schauen, war „ich“ als Stille oder Punkt in der Stille verschwunden. Statt dessen war ich alles in Form eines polygonalen Netzes von leuchtenden und stark vibrierenden Punkten. Es gab keinen gesonderten Raum, in dem das Netz war, den „ich“ hätte einnehmen können. Es gab auch keine Stille, aus dem das Netz aufgestiegen wäre, die „ich“ hätte einnehmen können. Es gab kein gesondertes „Ich„, das „etwas anderes“ hätte einnehmen können.

Ich war die Gesamtheit dieses leuchtenden, stark vibrierenden und sich in sich schaukelnd bewegenden Netzes. Die Schaukelbewegung fühlte sich etwa so an, als ob das Netz auf der Oberfläche eines Ozeans schwamm und sich mit den Wellen ungleichmäßig verteilt auf und ab bewegte.

Was vor dem Einschlafen noch als „mein Körper“ erfahren wurde, war jetzt ein nicht trennbarer Teil dieses Netzes. Der Atem meiner Frau, war mein eigener Atem und zwischen dem Atemgeräusch „ihres Körpers“ und dem „meines Körpers“ war nicht ein luftgefüllter Raum, sondern die Punkte und Verbindungslinien des Netzes. Mit anderen Worten: es gab keine Grenzen und keine Grenzlinie, an dem „mein Körper“ aufhörte und „ihr Körper“ begann. Es gab auch keine Grenzen zwischen den Wahrnehmungen – alles war mit allem verknüpft und durchdrang sich gegenseitig. Das war kein interpretativer Gedanke, „wie es sein könnte„, sondern eine klare und direkte Wahrnehmung, wie es faktisch ist.

Das ist nicht so zu verstehen, dass in dem Netz ein ´“wirklicher Körper“ verknüpft ist! Jeder Punkt des Netzes ist eine momentane Wahrnehmung, Gefühl oder Gedanke, zB ein Druckgefühl der Hüfte auf der Unterlage oder das Gefühl des Hebens und Senkens der Bauchdecke beim Atmen. Die Gesamtheit dieser Gefühls- oder Wahrnehmungs-Punkte, die „zu meinem erfahrungsgemäßen Körper“ gehören, werden, wenn dieser sich bewegt, „als mein Körper“ erkannt. Im Ruhezustand war das aber fast unmöglich – da war einfach nur das Netz und ich war das Netz und gleichzeitig jeder einzelne Punkt.

Wenn sich zB ein Arm bewegte, dann tauchte dieser deutlich aus der Punktmasse als „Arm“ auf, weil er sich relativ zu den anderen Punkten bewegte. Wenn die Bewegung endete, verschwand er wieder in der verknüpften Punktmasse. Was sich da bewegte war aber nicht „mein Arm„, sondern die Punkte des Netzes bildeten den sich bewegenden Arm ab, wie Pixel auf einem Bildschirm.

Jetzt, am Morgen, ist diese Erfahrung „nach hinten zurück getreten“ – aber sie ist noch da und ich kann mich damit verbinden. Daher gehe ich davon aus, dass es sich um einen Modus handelt, der immer verfügbar ist, den ich nur noch nicht bemerkt hatte. Allerdings waren die Vibrationen so intensiv, „hart“ und „schüttelnd“ dass es wahrscheinlich momentan unmöglich ist, das ununterbrochen so zu erleben, ohne dass der Körper Schaden nimmt.

In diesem Modus „habe ich keine Wahrnehmungen“ – sondern ich bin die Wahrnehmungen. Das war absolut eindeutig und ohne jede Interpretation ein direkter, nicht-dualer Wahrnehmungsmodus in dem nichtein Jemand“ „etwas anderes“ gewahrt – denn es gab gar nichts anderes, als „mich„. In diesem Modus kann ich nicht einmal mehr sagen: „ich bin DAS„, denn es gab keine Trennung, kein Erstes, das ein Zweites sieht – es gab einfach nur ICH und ICH war alles gleichzeitig. Es fühlte sich konkret so an: „ICH BIN strömendes, vibrierendes LEBEN„. Es war unpersönlich und intim zugleich.

Möglicherweise war der Auslöser für diese stundenlange Erfahrung, dass seit Tagen die stehende Welle des „persönlichen Ich“ im Vergleich zu auftretenden Gefühlen und Wahrnehmungen untersucht wird, um herauszufinden, wo das Eine beginnt und das Andere endet. Herausgefunden wurde konkret, dass es weder eine Grenze gibt, noch einen Übergang und das „Gefühl der Substanz“ ist an allen Punkten identisch.

Dieser scheinbar getrennte Zustand, in dem ein scheinbar stationärer und dauerhafter „Jemand„, „Beobachter“ oder „Ich„, da ist, der „etwas anderes sieht„, kann folgendermaßen schematisch dargestellt werden:
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