Die Seele

Meister Eckhart sagte über die Seele: „Das Seelenfünklein ist die Kraft, die mit Gott vereint„. Statt Gott kann man auch den Begriff SEIN oder Transzendenz benutzen.

Was Eckhart sagte ist richtig – zeigt aber den wirklichen Nutzen der Seele oder des individuellen Bewusstseins für den normalen Menschen nicht richtig auf. Ich würde sagen: Die Seele oder die Essenz des individuellen Bewusstseins ist der einzig Halt, der einen davor bewahrt, zurück ins Ich zu stürzen und damit ins Chaos. Egal, wie man es nennt, solange da noch egoische Anwandlungen sind, sein eigenes Süpplein zu kochen – und die sind solange da, bis das Ich total überschritten und dekonstruiert wurde – solange muss man sich am Bewusstsein selbst festhalten – also an sich selbst.

Ich weiß, dass man das am Anfang nicht direkt fühlen kann – es benötigt Zeit, bis die innere Subjektivität des Bewusstseins als das eigene Sein gefühlt wird – aber wenn es so gefühlt wird und die Barriere zwischen scheinbarem innen und außen fällt weg, dann erlebt man sich und die Welt als eine Einheit und die Natur dieser Einheit ist bewusste, liebende Präsenz – das SEIN.

Es gibt „nur“ ein einziges Hindernis: Solange jemand in seinem Ich fest hängt, kann er das Bewusstsein nicht als ICH BIN erleben – er kann noch nicht einmal sein Bewusstsein überhaupt erleben – er erlebt immer nur einen plärrenden Verstand. Und er kann absolut nichts tun, um dort raus zu kommen. Es gibt zwar Übungen, die darauf abzielen, das Ich zu erkennen und durch Beobachten zu hinterfragen, so dass eine langsame Loslösung oder zumindest Aufweichung geschieht – aber der wirkliche Sprung in den Abgrund kann nicht vom Ich gemacht werden – der muss ihm geschehen.

Wenn aber einer über die Hürde auf die andere Seite geworfen wurde, dann bleiben ihm nur genau zwei Möglichkeiten: entweder geht er der Schein-Lehre des Advaita auf den Leim und sagt sich: „ich bin angekommen“ – oder er geht weiter und versucht sein Bewusstsein zu fühlen. Die Lehre des Advaita ist eine reine Kopfgeburt, dort heißt es meistens lapidar: „Es gibt kein Ich, ignoriere es und sei einfach“ Das ist völliger Blödsinn und stellt nur eine Vorstellungs-Mauer auf, um von dem sich dahinter befindlichen Ich abzulenken.

Man muss doch nur nach außen schauen, um zu erkennen, dass die äußeren Konflikte nichts anderes sind, als Projektionen dieses angeblich nicht vorhandenen Ich’s. Sicher, von ganz oben betrachtet, sind das nur „Wellen auf dem Ozean“ – aber wir erleben hier ein Leben und das ist zu meistern und dazu gehört, sowohl die Natur dieses Lebens zu durchschauen, als auch alle Hindernisse zu überwinden, die uns davon abhalten.

Jetzt könnte man sagen: „alles läuft von selbst ab“ und das stimmt auch – aber deshalb gibt es trotzdem ein Ich, das die Wirklichkeit ablehnt und immer wieder versucht, etwas anders zu machen, was natürlich scheitern muss, weil das Ich nicht der Macher ist. Aus diesem Dilemma kommt man meiner Erfahrung nach nur durch massives Leid und totale Verzweiflung heraus. Erst, wenn ich immer wieder an eine Mauer anrenne und schließlich merke, dass „ich es nicht schaffen kann“ – erst dann kann etwas geschehen. Erst aus der totalen Aufgabe kann der Sprung in den Abgrund, das Öffnen des Tores oder der Wurf über die Mauer erfolgen.

Diese unterschiedlichen Begriffe bezeichnen alle denselben Vorgang, nämlich über das Hindernis des Ego-Verstandes hinaus zu kommen und dauerhaft auf der anderen Seite zu verbleiben. Das kann das Ich nicht machen, dazu benötigt es das, was jenseits dieses Ichs ist und das ist das SEIN und das individuelle Bewusstsein (Seele).

Die Seele ist die Verbindung zwischen Welt/Ich und SEIN und wenn man sich daran gewöhnt, sich dort sein lässt und lernt, das zu fühlen und weiter zu entwickeln, dann erkennt man zunehmend die Wahrheit über sich selbst und die Welt und wie man selbst mit der Welt zusammenhängt.

Das hört sich an, wie ein Paradox – zuerst ist da ein Ich, das nicht aus seinem Gefängnis, das es in diesem Zustand selbst ist, heraus kommt. Dann plötzlich ist da ein Ich, das sich als Bewusstsein erkennt und dieses weiter entwickelt. Das ist doch ein logischer Widerspruch – wie kann das gehen?

Das herkömmliche, menschliche Ego-Ich ist mehr oder weniger ein Bündel von Vorstellungen, wer man sei und was man alles tolles getan hat und noch zu tun gedenkt. Diesem illusionären Ich liegt aber das Gefühl und die Gewissheit der eigenen Existenz zugrunde und diese Gewissheit und die individualisierte, geistige Energie, auf der es beruht (Seelenfünklein), ist das eigentliche ICH oder besser ICH BIN.

Egal, wie man es nennt – es gibt das Absolute, Universelle und die Erscheinungs-Welt – und genau dazwischen BIN ICH. ICH BIN ein individualisierter geistiger Container im universellen Bewusstsein (individualisiertes universelles Bewusstsein oder die SEELE) – in der das Welt-Schauspiel abläuft, das ICH beobachte. Das trifft auf jedes Wesen ganz genauso zu.

Und dieses ICH ist es, das zurück will in das Bewusstsein der Einheit – es will sich selbst wieder erleben als das, was es ist: als eine im Absoluten eingebettete, individuelle geistige Einheit. Die Seele ist der eigentliche Antrieb, der das personale Ich des Menschen solange schlägt, bis dieser Ich-Konstrukt merkt, dass es so nicht weiter geht. Dann probiert das Ich vielleicht verschiedene spirituelle Übungen aus, meditiert oder hört, wie ich, auf den inneren Ton. Und schließlich merkt das Ich, dass es so auch nicht geht – aber es gibt nicht auf – und rennt gegen die Wand an, bis es vor Erschöpfung zusammenbricht und vor lauter Verzweiflung nicht mehr aus, noch ein weiß.

Genau dann kann es passieren – aber es muss nicht. Ich kenne persönlich drei Menschen, denen das so ergangen ist – einer davon bin ich selbst. Deren Geschichte ist zwar total unterschiedlich – aber bei allen brach das Ego-Ich auf diese Weise auseinander. Das Ich basiert auf Vorstellungen – aber es basiert auch auf der Kraft, die das dahinterliegende SELBST oder ICH oder ICH SELBST ausmacht. Ohne das Seelenfünkchen, wie Eckhart es genannt hat, gäbe es weder Mensch, noch Welt – nicht einmal Nichts.

Das muss man wirklich verstehen: Kein Mensch mit einem vollkommenen intakten Ich kann dieses Tor durchschreiten, denn er selbst, besser seine verdrängten Schattenanteile, sind es, die ihn daran hindern, hindurch zu gehen. Das Ich kann nicht aus seinem, aus sich selbst bestehenden, Gefängnis ausbrechen. Von außen betrachtet gibt es das alles gar nicht – das sind alles nur Vorstellungen und völlig unbegründete Verlust- und Todes-Ängste. Aber aus der Perspektive des Ichs gibt es das sehr wohl und es kommt da auch nicht heraus, ohne diesen ganzen Mist zumindest teilweise loszuwerden. Und genau das kann es nicht – das kann ihm nur von jenseits des Ich’s zuteil werden.

Trotzdem muss das Ich gegen diese Mauer anrennen, wenn der innere Ruf ertönt, denn das kann es nicht verhindern. Es muss machen und tun und glauben und hoffen, dass es DAS eines Tages schafft – bis es auseinander bricht. Um es völlig eindeutig und klar zu sagen: das menschliche Ego-Ich kann gar nichts machen – alles, was passiert, geschieht ihm, auch die Beschäftigung mit der Spiritualität. Letztlich kann das alles dahin führen, dass das Ich erkennt, dass es in dieser angenommenen Form überhaupt nicht existiert, dass sämtliche Vorstellungen über sich selbst falsch sind – dass da aber nicht gar nichts ist, sondern ein viel größeres ICH, dass die ganze Zeit da war aber nicht vom kleinen Ich gesehen wurde – aber wenn es das sieht, ist es schon auseinander gebrochen und schaut von der anderen Seite.

Alles, was da abläuft, tut die Esssenz nur mit sich selbst – in Form individualisierter Einheiten – die alle untrennbare Teile der Quelle sind. Aus meiner Erfahrung heraus ist es nicht so, dass da nur eine Quelle ist – die sich direkt in unzähligen Wesen als kleines Ich erkennt – und versucht, wieder zurück zu sich selbst zu kommen.

Ich sehe das so: Quelle/Sein ↔ Seele → Wesen/Objekt. Wobei es so viele Seelen (lebendige, bewusste, geistige Schnittstelle zu einer physischen Einheit) geben muss, wie es Wesen oder Objekte gibt.

Aus dieser Perspektive geschaut, ist es geradezu lächerlich, wenn das kleine Ich, das doch nur so etwas wie ein Schwanz ist, der an einem Hund hängt, der auf der Erde steht, versucht zu handeln (versucht mit dem Hund zu wedeln). Jeder, der von außen drauf schaut, sieht, dass der Hund es ist, der auf dem Erdboden steht und dass dessen Muskeln den Schwanz bewegen – aber niemals umgekehrt: Erde=Sein ↔ Hund=Seele → Schwanz=Ich.

Das richtige Bild ergibt sich aus meiner Sicht aber erst dann, wenn man Erde/Quelle, Hund/Seele und Schwanz/Ich als EINHEIT auffasst, deren einzelne Teile untrennbare Zellen des EINHEITS-KÖRPERS selbst sind. Es würde reichen, wenn der Schwanz einfach und klar sehen würde, dass er der Schwanz ist, der hilflos an dem Hund hängt und dass DER mit ihm wedelt und nicht umgekehrt.

Aber welcher Schwanz will das schon sehen? Selber wackeln ist doch viel schöner und viel interessanter, als hilflos an dem „blöden Hund“ zu hängen… Das Ich ist ein Bündel von Gedanken, die ununterbrochen im Verstand kreisen – und erst dann, wenn dieses Denken überschritten wird, kann das Ich sehen, dass es nur aus Vorstellungen bestand – dann ist es kein Ich mehr. Mit diesem Satz ist mir auch klar geworden, warum das Denken von einem normalen Menschen nicht überschritten werden kann, denn der, der das will, ist lediglich ein Verstandesinhalt…

Mit anderen Worten: der normale Mensch besteht nur aus seinem Verstandesinhalt – von dem, in dem der Verstandesinhalt erscheint, weiß er nichts. „Bewusstsein“ ist nur ein Wort für den Verstand – aber „Verstand“ ist lediglich eine Funktion des Bewusst-Seins, das ICH BIN.

Ich war mir noch nie so klar wie gerade jetzt, dass Schreiben Erkenntnis in Aktion ist – oder besser Intelligenz in Aktion.