Arbeit an sich selbst?

Aus meiner Sicht sieht diese Sache aus, wie folgt: Das Selbst ist von Natur aus vollständig leeres Bewusstsein – und es ist der große Projektor, der sämtliche Erscheinungen in sich selbst projiziert. Das bedeutet, dass dieses Selbst die eigentliche Ursache von allem ist und es ist vollständig frei von irgendwelchen Leiden oder Freuden. Es ist einfach.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist es vollkommen unsinnig, irgendwelche Anstrengungen zu machen, „an sich zu arbeiten“. Wenn das von selbst passiert, wenn einem das Leben ständig irgendwelche Scheiße auf das Butterbrot schmiert und man damit klarkommen muss – dann kann man dieses „Klarkommen“ als „Arbeit an sich selbst“ bezeichnen. Wenn man das aber bei jeder Kleinigkeit macht, „um sich zu verbessern“, „um zu wachsen“ – dann ist das ein sehr aufwendiges „Hobby“. Dieses wird niemals enden und bis zur letzten Sekunde des Lebens dauern.

Wer das tut, wird vom Leben mit immer neuem Futter versorgt, denn es ist völlig unmöglich, immer und in jeglicher Situation glücklich zu sein. Mir kann niemand erzählen, dass ein „Arbeiter an sich selbst“ sich so sehr „im Griff hat“, dass er auch dann glücklich wäre, wenn er dabei zusehen müsste, wie ein Zudringling seine Frau vergewaltigt und anschließend grausam foltert und umbringt. Er wird in dieser Situation niemals „glücklich und zufrieden“ sein können. Was bringt das dann?

Das Leben funktioniert völlig anders. Das Selbst ist reines, stilles und weites Bewusstsein und genau das ist der Zustand, den es anzustreben gilt. Denn wenn keine Gedanken da sind, gibt es keine Wünsche, Sorgen und Probleme, stattdessen ist ständig Frieden da, ohne irgend etwas dafür zu tun. Das ist meine eigene Erfahrung. Ob sich dieser Frieden durchhalten lässt, wenn oben skizziertes Szenario passiert, das wage ich zu bezweifeln – zumindest solange die Vorstellung, ein unabhängiges Ego-Ich zu sein noch nicht vollständig und dauerhaft zerstört wurde.

Wenn es aber in einem Menschen keine Vorstellung mehr gibt, ein unabhängiges Ego-Ich zu sein, dann wirkt sich nichts, was innerhalb der Erscheinungswelt passiert, auf diesen Menschen aus. Selbst obiges Szenario würde ihn nicht aufregen können, weil es dann einfach nichts mehr gibt, was sich aufregen kann. Er würde schlicht und einfach tun, was in dieser Situation zu tun ist und wäre vollkommen unbeteiligt dabei. Er könnte zum Beispiel seine Frau verteidigen und den Angreifer dabei umbringen und wäre innerlich völlig entspannt, auch wenn er kämpfen würde, wie ein Berserker. Danach würde er sich umdrehen und weiter gehen und kein einziger Gedanke würde sich erheben und ihn anklagen.

Was aber würde der „Arbeiter an sich selbst“ danach tun? Wieviele Jahre bräuchte er, um die furchtbaren Ereignisse zu bearbeiten, die ihm nachts den Schlaf rauben und schweißgebadet aufwachen lassen? Ist das besser, als auf gar nichts zu reagieren, einfach alle Erfahrungen durchleben zu können, ohne auch nur eine Informationseinheit in sich zurückzubehalten? Sich keine Gedanken zu machen und einfach still in seiner Mitte zu bleiben, das nennt man Selbsterkenntnis und die führt zum Selbst und letztendlich, wenn man Glück hat, zum vollständigen Aufgehen im Selbst, so dass das Ego nicht wieder aufstehen kann.

Sich Gedanken über Vorkommnisse zu machen, die in der Erscheinungswelt passieren, das nennt man „anhaften“ und anschließend ist „Arbeit an sich selbst“ nötig, um die Anhaftungen wieder loszuwerden. „Arbeit an sich selbst“ ist keine Selbsterkenntnis! Dabei wird an etwas gearbeitet, das eine reine Fiktion, eine schattenhafte Projektion ist. Wer sich mit seinem Selbst vereinigt, sich damit identifiziert, und sich nicht um dessen Projektion – das Ego – kümmert, der geht direkt auf das Ziel zu.

Ich weiß, dass immer wieder Menschen – auch solche mit viel Erkenntnis – die Tendenz hatten, an sich selbst zu arbeiten und das auch anderen rieten. Solche Menschen hatten oft auch die Tendenz, die Welt verbessern zu wollen. Paul Brunton ist nur ein Beispiel dafür. Ich sehe aber mit vollkommener Klarheit, dass es völlig sinnlos ist, an einem Toten zu arbeiten. Das Ego-Ich, das sich als abgetrenntes Wesen betrachtet, ist ein Toter, ein Zombie, der blind und taub durch das Leben schlurft. Sobald sich dieser Zombie aber umdreht und in Richtung seines Ursprunges geht, der sein reines, lauteres Selbst ist, in dem Moment wird er lebendig.

Ich weiß aber natürlich mit der gleichen Klarheit, dass jedem Menschen genau das passiert, was ihm passieren soll. Wenn einer also an sich selbst arbeitet und das für richtig hält, dann ist das auch richtig so. Insofern gibt es gar nichts zu kritisieren!

Ich wollte einfach einmal darauf hinweisen, dass „Arbeit an sich selbst“ nicht das geringste mit Selbsterkenntnis zu tun hat, bei der das Ego ignoriert und sich auf die Quelle ausgerichtet wird. Der „Arbeiter an sich selbst“ ignoriert dagegen die Quelle des Lebens und schminkt statt dessen das Ego, hübscht also eine Projektion auf. Damit tut so ein Mensch genau das, was die Gesellschaft von ihm fordert: Werde besser, strenge Dich an!

Der Sinn des Lebens liegt darin, das Wesen des Selbst zu erforschen und stets daran festzuhalten.

Das werden allerdings nur diejenigen verstehen und berücksichtigen, die dazu berufen sind. Alle anderen werden bewusst oder unbewusst daran vorbei gehen – und das ist genau richtig so.