Licht und Dunkelheit

Es gibt zwei grundlegend andersartige Arten zu sein: Aufbauend und Zerstörend. Jeder herkömmliche Mensch würde sofort sagen, dass er zur Gattung der Aufbauenden gehört. Das Aufbauende ist das Helle, das Aktive, Ruhelose, das Getriebene, das immerzu-schaffen-Müssende, das Zeitliche – das Denkende. Es kann nichts lassen, wie es ist, muss immer TUN und VERÄNDERN und daher muss es auch immer versuchen, an der Welt herumzuschrauben.

Das Zerstörende ist das Dunkle, die leuchtende Finsternis, der Abgrund, das Bodenlose, die Liebe, die Stille, der Frieden, die Ewigkeit, das Unbewegliche, das Nicht-Denkende.

Die auflösende Dunkelheit bringt das helle Licht hervor – und dieses helle Licht ist das aufbauende Element.

Jetzt erst, während des Schreibens, wird mir das tatsächliche Ausmaß der Andersartigkeit klar! Das Dunkle beherrscht immer das Helle – und zwar deshalb, weil das Helle eine abhängige Ausstrahlung des Dunklen ist. Das Dunkle ist der Mutterschoß und das Helle sein Kind.

Ich kenne persönlich zwei Menschen, einen Mann und eine Frau, die ebenfalls durchschlagende Erleuchtungs-Erfahrungen hatten. Beide sind im Hellen gelandet, beide haben eine enorme Energie und Schaffenskraft. Beide können nicht auf ihrem Arsch sitzen bleiben und einfach nur SEIN. Sei müssen immerzu TUN – und DENKEN. Sie ist eine perfekte SEHERIN und er hat offenbar noch nicht bemerkt, was er alles kann, außer zu Schreiben.

Aber beide können nicht einfach nur SEIN. Ich habe sie einmal dazu befragt und sie gab an, dass sie tun muss – sie kann nicht passiv bleiben, das macht sie unzufrieden.

Bei mir ist das genau umgekehrt: Ich war offenbar schon immer mehr auf der dunklen Ebene zuhause, ohne das auch nur zu ahnen. Immer, wenn ich mit der Frau Kontakt hatte, erlebte ich sie voller Energie, aufgekratzt und rastlos. Saß sie aber direkt neben mir und es war nichts weiter zu tun – dann wurde sie fast bewusstlos. Sie vergaß alles außen herum und wurde vollkommen unbewusst. Später sagte sie mir, dass sie während dieser Phasen total in der Leere und am Ursprung war. Offenbar wurde sie durch meine Gegenwart in die Dunkelheit des Seins gezogen – aber ohne Bewusstsein davon.

Mit anderen Worten: Was ich ununterbrochen voll bewusst wahrnehme, ohne auch nur eine Sekunde zu wanken oder unbewusst zu werden – die leuchtende Dunkelheit, die Stille, den Frieden, das FÜHLEN – bewirkte bei ihr totale Unbewusstheit, totales Wegtreten. Dafür gibt es eigentlich nur eine Erklärung: Weil sie das DENKEN, das HELLE IST. Ihre Fähigkeiten haben nur im Hellen Bestand – in der Dunkelheit lösen sie sich in Nichts auf. Mit anderen Worten: sämtliche körperlichen Fähigkeiten – auch der IQ und alle PSI-Fähigkeiten – gehören ausschließlich der hellen Seite an und sind in der dunklen, stillen Ewigkeit nicht vorhanden.

Ich fragte mich viele Jahre lang, warum sie so viele Fähigkeiten hat und ich keine einzige und nahm an, dass das an meiner Unfähigkeit liegt. Heute Nacht drehte sich das um: Ich kann jetzt sehen, dass sie im hellen Licht existiert und daher auch die entsprechenden Fähigkeiten besitzt. Ich dagegen bin in der Dunkelheit und besitze keine einzige Fähigkeit – es ist sogar so, dass meine körperlichen und geistigen Fähigkeiten eher unterdurchschnittlich sind. Sie dagegen ist nahezu perfekt, hat einen IQ>150 und ein fotografisches Gedächtnis. Und trotzdem hatte sie vor meiner Energie Angst – ich aber nicht vor ihrer.

Heute Nacht ist mir vollkommen klar geworden, woran das liegt: Sie ist in der abhängigen Strahlung zuhause. „Ihre Macht“ beruht auf dem Rastlosen, dem Schaffen-Müssenden, dem Aufbauenden – dem Denken.

Meine Macht“ beruht auf dem Dunklen, der Stille, der Ruhe, dem ewigen Frieden, dem Nicht-Denken – und auf der Fähigkeit, das Helle hervorzubringen und wieder zu zerstören.

Die Dunkelheit ist der Ursprung, der Mutterschoß – und das Helle ist ihr Kind.

Und der Tod, ist der Übergang von der hellen Seite, zurück in die Dunkelheit, zurück zum Ursprung. Und es gibt nichts, wovor das Licht – oder der Denker – mehr Angst hat.

Das helle Licht ist synonym zum „Denker“ – und das dunkle Licht synonym zur STILLE.

Die Bibel hat recht: am Anfang der Schöpfung war das Wort. Aber vor der Schöpfung BIN ICH – DIE STILLE. Das Wort kam erst danach, denn „das Wort“ ist die Ebene des Denkers. Der „schaffende Gott“ oder das „schaffende Prinzip“ ist ein Heller – und er fürchtet sich vor der Dunkelheit. Wenn ich mich nicht irre, bedeutet „Luzifer“ „Lichtbringer“ – dann ist er ein Heller und kein Dunkler. Demzufolge ist die „Hölle“ ebenfalls hell – nämlich genau hier, im hellen Licht der „physischen Welt„. „Hölle“ klingt ähnlich wie „Höhle“ und sie hat zwei Seiten:

  1. Für die dunkle STILLE (das Innere der  Höhle) ist der helle Lärm des Denkens und das rastlose Tun die Hölle.
  2. Für das helle Denken (Aus-Gang der Höhle) ist die dunkle STILLE und die Untätigkeit oder Bewegungslosigkeit die Hölle.

Es kommt eben immer darauf an, aus welcher Richtung man schaut…

Aber grundsätzlich haben beide Seiten ihren Sinn – und ohne die Schaffenskraft der hellen Seite gäbe es keinen technischen und kulturellen Fortschritt. Leider ist der Fortschritt aber offenbar nur in der Trennung (Fort-Schritt, Aus-Gang) von der dunklen Seite möglich. Vielleicht kommt mein massiver innerer Unwille, hier noch groß tätig zu werden, genau daher. Dieser Unwille entspringt nicht einem Gedanken, sondern es ist ein klares FÜHLEN, eine gefühlte Aufforderung, einfach DA zu sein. Möglicherweise verändert sich das auch noch – momentan ist das aber so.

Was als „Dunkelheit“ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit das stärkste Licht (Bewusstheit, Hingabe, Nicht-Denken)
Was normalerweise als „Licht“ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit totale Verdunkelung (Unbewusstheit, Denken).
Nicht die eigene Tatkraft ist der Schlüssel, sondern Hingabe an die STILLE und LIEBE.
Die Wahrheit ist immer um 180 Grad verdreht, zu dem, was wir hier für Wahrheit halten.

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Ein Dunkles ist, das vollkommen war,

ehe Himmel und Erde entstanden;
ruhig, still,
es steht allein ohne Wandel,
es bewegt sich ohne Gefahr.
Es könnte die Mutter aller Dinge sein,
Ich weiß seinen Namen nicht
und nenne es Tao.
Alan Watts, Der Lauf des Wassers

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Du Dunkelheit, aus der ich stamme

ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen –:
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.
Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich, wie sie’s errafft,
Menschen und Mächte –
Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.
Ich glaube an Nächte.
Rainer Maria Rilke

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For each of us as women, there is a dark place within where hidden and growing our true spirit rises, “Beautiful and tough as chestnut/stanchions against our nightmare of weakness” and of impotence. These places of possibility within ourselves are dark because they are ancient and hidden; they have survived and grown strong through darkness. Within these deep places, each one of us holds an incredible reserve of creativity and power, of unexamined and unrecorded emotion and feeling. The woman’s place of power within each of us is neither white  nor surface; it is dark, it is ancient, and it is deep. Audre Lorde     [Statt „Woman’s Place“ hätte sie besser „Human’s Place“ geschrieben]
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Unter den Dagara ist Dunkelheit heilig. Es ist verboten, sie zu beleuchten, denn Licht verscheucht den Geist.
Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist das Lagerfeuer.
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Es ist ein Zeichen von Verwirrung,
von der Dunkelheit ins Licht zu fliehen.
Denn Dunkelheit ist der Ursprung des Lichts.
divo

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Light thinks it travels faster than anything but it is wrong.
No matter how fast light travels,
it finds the darkness has always got there first,
and is waiting for it.
Terry Pratchett

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There is a wide, yawning black infinity.
In every direction, the extension is endless;
The sensation of depth is overwhelming.
And the darkness is immortal.
Where light exists, it is pure, blazing, fierce;
But light exists almost nowhere,
And the blackness itself is also pure and blazing and fierce.
Carl Sagan.