Das Ego ist nicht schlecht

Es ist nicht richtig, zu versuchen, das Ego zu töten oder auch nur zu missbilligen! Wir sollten statt dessen lieber Verständnis aufbauen, darüber, wie die Welt funktioniert und warum sie so ist, wie sie ist. Das Ego ist nicht schuld daran, wenn jemand sich selbst oder andere kritisiert. Das Wort „Ego“ bedeutet schlicht und einfach „Ich„. Dahinter steht nichts schlechtes, sondern einfach das Gefühl für die eigene Existenz – das „Ich-Gefühl„.

Ohne das Ich-Gefühl der eigenen Existenz, könnte niemand existieren. Dieses Gefühl zeigt an, dass jemand da ist, dass jemand existiert und ohne dieses Gefühl wäre keiner da, würde keiner existieren. Ist das erstrebenswert?

Das, was andauernd kritisiert, ist nicht das Ego (Ich-Gefühl), sondern der innere Kritiker. Das ist ein antrainiertes Verhalten, das den Menschen dahin bringen soll, in der Gesellschaft gut zu funktionieren. Dazu muss er selbstkritisch genug sein, um sein Verhalten zu hinterfragen und zu prüfen, ob es zu den gesellschaftlich anerkannten Verhaltensweisen passt. Die Kritik gilt aber auch anderen Menschen, die sich nicht so verhalten, wie die Gesellschaft oder man selbst es gerne hätte. Es geht bei der Kritik also darum, ein von Vorstellungen abweichendes Verhalten zu brandmarken – egal ob es das eigene Verhalten ist oder fremdes.

Kritik als solche ist nichts schlechtes – man sollte in der Lage sein, gutes Verhalten von schlechtem zu unterscheiden. Wenn man zum Beispiel ganz klar fühlt, dass etwas, das man im Begriff ist, zu tun, anderen Menschen schadet, dann kann man das Verhalten ändern. Man kann Kinder mit Schlägen und Brutalität dahin bringen, dass sie tun, was man will – oder mit Erklärungen und eigenem Beispiel vorangehen und auf diese Weise das richtige zu demonstrieren.

Das Leben ist in gewisser Weise paradox: Einerseits gibt es nur die Quelle und alles existiert nur in ihr und durch sie. Andererseits gibt es nicht nur Einheit, sondern auch Trennung und Individualität. Wenn es Individualität gibt, dann gibt es auch individuelle Handlungen – ansonsten wäre das Leben als Individuum sinnlos. Wenn es individuelle Handlungen gibt, dann gibt es diese auch in der Selbsterkenntnis – daher gibt es nicht nur einen Pfad, sondern so viele, wie es Menschen gibt.

Was unbedingt not tut, das ist, ein genügend weites Verständnis aufzubauen, so dass man auf Kritik grundlegend verzichten kann. Man muss einfach erkennen, dass das Leben so unglaublich vielfältig und vielschichtig ist, dass man aus seiner beschränkten Sicht heraus niemals wissen kann, was für andere Menschen richtig und was falsch ist. Einerseits sind es Individuen, die handeln, andererseits ist das alles nur die Quelle, die hier mit sich selbst spielt. Das muss man erkennen und dann gibt es weder richtig, noch falsch, sondern einfach nur noch handeln.

Es geht in der Selbsterkenntnis nie darum, irgend etwas abzutöten, sondern intuitives Verständnis und Wissen aufzubauen, um hinter die diversen Schleier blicken zu können. Das geht nur mit Wissen und Training. Genauso wenig, wie ein Formel-eins-Fahrer sein Fahrzeug mit 350 Stundenkilometern sicher in Steilkurven bewegen kann, ohne das immer wieder einzuüben, kann ein Meditierer oder Mystiker seine inneren Erfahrungen ausweiten, ohne das ständig zu üben.

Wer ein falsches Verständnis vom Ego hat, wird logischerweise diese Verhaltensweisen als Ausdruck eines „spirituellen Egos“ bezeichnen. Dabei tun Meditierer oder innere Reisende nichts anderes, als jeder Sportler: Sie werden durch Übung auf ihrem Lebensweg zum Meister der geübten Disziplinen. Was ist denn der Sinn des Lebens? Genau das: Zum Meister seines Bewusstseins zu werden, um die Schleier zu lüften und hindurchzuschlüpfen! Für Menschen, die noch nicht soweit sind, geht es „nur“ darum, zum Meister ihres Lebens zu werden – also ihr Leben zu meistern. Das gilt für innere Reisende natürlich gleichfalls – die Meisterung des Inneren muss zusätzlich geleistet werden!

Das, was hier passiert, ist, dass die Quelle sich selbst durch die vielen Wesen hindurch erlebt – und wie immer wieder Einzelne sich an sie zurückerinnern und den inneren Pfad zurück zur Quelle einschlagen. Jeder Mensch wird zwar durch Leiden dazu gezwungen, den inneren Pfad einzuschlagen – es ist aber sein freier Wille, ob er diesem Druck nachgibt oder widersteht. Es ist ganz einfach so, dass niemand zur Sehnsucht nach seinem Ursprung und zur Selbstliebe gezwungen werden kann – auch nicht durch noch soviel Leid. Nur derjenige, der genügend Einsicht entwickelt, wird das tun.