Auflösung oder Wachstum?

Ich habe ein Audio gefunden, das in die Erfahrung des universellen Bewusstseins einführt: Reine Bewusstheit

Der Autor bezeichnet diese Erfahrung als „reine Bewusstheit“ oder „Gewahrsein„. Die Übung führt zu einer Bewusstseins-Erweiterung und Verschiebung, vom persönlichen Bewusstsein, hin zum universellen Bewusstsein. Während ich das Audio hörte, erlebte ich mich gleichzeitig von innen heraus als bewusstes Subjekt und von außen, als reine Wahrnehmung, in der dieser Körper einfach da war, genauso, wie die anderen Objekte im Zimmer. Mit einiger Übung ist es sicherlich möglich, im täglichen Leben beide Perspektiven aufrecht zu erhalten – aber nur dann, wenn man vorher seine innere Subjektivität ausreichend gefestigt und verkörpert hat.

So gut und interessant diese Erfahrung auch ist, vor allem für Menschen, die noch niemals mit anderen Bewusstseins-Zuständen experimentiert haben, muss man aber auch sagen, dass es eine vom persönlichen Bewusstsein losgelöste Erfahrung ist. Wer seine innere Subjektivität noch nicht fühlen kann, gerät damit sehr schnell auf Abwege, die dahin führen können, dass er nicht mehr in seinem Körper sein mag, weil das universelle Bewusstsein so viel losgelöster und angenehmer wirkt, als das persönliche, mit all seinen Alltags-Sorgen und Problemen.

Das Problem gibt es auch in der Spiritualität – die Inder neigen genau zu dieser Verhaltensweise, was man an der Geschichte von Nisargadatta Maharaj studieren kann. Sie wollen nicht wissen, wer sie sind, wie sie sich treffen und mit sich selbst eine Beziehung aufbauen können – sie wollen möglichst schnell raus aus ihrem Körper und hinein in das unpersönliche, universelle Bewusstsein, welches alle Universen enthält und durchdringt. In meinen Augen führt dieses Audio genau zu einer solchen temporären Erfahrung und damit möglicherweise zum Wunsch, sie möglichst immer aufrecht zu erhalten.

Soweit ich das überblicken kann, sind wir aber nicht zu diesem Zweck hier, denn ansonsten macht ein persönliches Leben, das jede Menge Leid enthält, keinerlei Sinn. Ich sehe die Sache vielmehr so, dass wir dazu hier sind, um unser Ego-Ich zu überschreiten (transzendieren) und uns in unserem persönlichen Bewusstsein einzunisten, es in Besitz zu nehmen und zu entwickeln, damit wir letztlich bewusst zum Träger des Bewusstseins, dem individuellen geistigen Wesen (Seele), werden und als dieses in das Absolute hineinwachsen.

Wandern wir vorzeitig ins universelle Bewusstsein ab und nisten uns dort ein, dann haben wir keine Chance mehr, unser individuelles Dasein als subjektives Bewusstsein/Seele zu erleben und zu entwickeln. Die Erfahrung, zu der dieses Audio führt, ist an sich positiv zu sehen, da man damit erkennen kann, dass wir tatsächlich innerhalb des universellen Bewusstseins existieren – aber sie muss dahin gelenkt werden, dass der Erfahrende sich nicht nur als unpersönliches „Gewahrsein“ erlebt, sondern als individuelles Subjekt-Bewusstsein, das seine Identität kennt, in der Lage ist, daran festzuhalten und dann erst in Kontakt und Resonanz zum universellen Bewusstsein geht.

Findet die Sache so statt, dann kennt sich der Aspirant und weiß, wer er ist und wird sich nicht im universellen Bewusstsein verlieren. Findet sie aber missbräuchlich statt, dann muss man das sehen, wie eine geistige Droge, die den eigentlichen Zweck unseres Hierseins verunmöglicht. Solche Erfahrungen sind Stolpersteine, die jeden Menschen, der damit in Berührung kommt, dazu verführen können, den leichten Weg zu nehmen und abzuhauen. Der schwerere Weg führt zu reiner Selbst-Erkenntnis und zum Hineinwachsen in das Absolute – als voll bewusstes, individuelles, geistiges Wesen.

Der leichte Weg führt zu einer unbewussten Existenz im universellen Bewusstsein und letztlich, nach dem Tod des Körpers, zur Auflösung der eigenständigen Existenz des noch unentwickelten Bewusstseins. Im Prinzip ist das nichts anderes, als Alkohol zu trinken oder sonstige Drogen zu nehmen, um vor seinen Problemen zu fliehen. Denn leider nehmen diese dadurch keineswegs ab, sondern zu – nur bekommt das der betroffene Mensch nicht mehr so stark mit. Maharaj sah die Probleme seines Körpers nicht mehr als seine an, er sah sie nur noch aus der Ferne, betrachtete sie unbeteiligt und sagte gegenüber Besuchern: „Das geht mich nichts mehr an, soll sich das Leben um diesen Körper kümmern.

Jeder normale Mensch, der so etwas sagt, würde im Westen als lebensmüde und verrückt gelten. In Indien gelten solche Leute als „Heilige“ und daher sahen seine Besucher und die Leser seiner Bücher das als „großartige Errungenschaft“ an, die sie ebenfalls gerne erreicht hätten. Und obwohl ich das in diesem Beitrag schon so gesehen hatte, ist es jetzt noch erheblich klarer geworden, so dass ich sagen kann: Wer so lebt, der führt das Leben eines Drogenjunkies!

Bei Suzanne Segal lief das anders ab, als bei Maharaj. Sie wurde aus ihrem Körper hinaus geschleudert, verlor jeden persönlichen Bezug und erlebte, wie das universelle Bewusstsein ihren Körper zuverlässig am Leben erhielt und alle benötigten Aktionen durchführte, ohne ihr Ego und den Verstandes dabei zu benutzen. Sie wollte das gar nicht, wollte immer wieder zurück in ihren Körper, schaffte das aber nicht. Am Ende der Entwicklung erlebte sie sich als überall gleichzeitig seiend aber nicht mehr als persönliches Selbst, sondern als unpersönliche Entität.

In meinen Augen sind wir aber dazu aufgerufen, persönliche Teilnehmer an diesem Schöpfungs-Spiel zu werden und nicht uns im universellen Bewusstsein aufzulösen. Denn bei der Auflösung erlöschen alle unsere Erfahrungen und unser Sein, als eigenständiges Wesen und sind nur noch allgemein als Information verfügbar. Es gibt dann dieses Individuum nicht mehr, das anhand dieser Erfahrungen gewachsen ist und in der Lage gewesen wäre, sein einzigartiges Sein, in die Schöpfung mit einzubringen.

Auflösung bedeutet eine Vergrößerung der Entropie (Unordnung, Chaos).
Entwicklung zu bewusster, subjektiver Existenz, bedeutet eine Vergrößerung der Ordnung und Struktur der Quelle.

Da die Wurzel der Quelle das Chaos ist (Nichts, Leere) und aus diesem ein bewusstes Etwas entsprang, das Leben schafft, kann das Ziel des Schöpfungs-Prozesses niemals die Vergrößerung des Chaos sein, sondern vielmehr die Vergrößerung der Ordnung, denn das Maximum des Chaos bestand bereits vor der spontanen Entstehung des Bewusstseins (Licht) – seitdem verringert sich das Chaos.

Vor dem Bewusstsein war nur Dunkelheit und Chaos.
Dann kam das Bewusstsein und erhellte mit seinem Licht die Dunkelheit, seitdem nimmt das Licht zu.

Alleine schon unsere Existenz zeigt, worauf der Ablauf des Schöpfungs-Prozesses abzielt: Vermehrung des Lichtes, Vergrößerung der Ordnung, Erhöhung der Vielfalt – innerhalb der Quelle, denn es gibt nur die Quelle.

Das ist so einfach und klar, dass ich nicht verstehen kann, wie man das nicht verstehen kann – und eigentlich hätte auch Maharaj das verstehen müssen. Aber möglicherweise hatte er erst dann Zugang zu diesem Wissen, als er bereits im universellen Bewusstsein war und bis dahin überwog der unbedingte Wunsch, soweit wie möglich, von seiner körperlichen Existenz, dem Verstand, dem Ego und seinem individuellen Bewusstsein weg zu kommen.

In meinen Augen hat das auch etwas mit der Prüfung der Intelligenz jedes Aspiranten zu tun. Gibt er sich mit dem universellen Bewusstsein zufrieden und mit der Erfahrung der Leere? Oder merkt er, dass er viel mehr ist, als die Leere, dass er das Potential in sich trägt, ein geistiges Individuum zu sein, das zusammen mit dem ursprünglichen Schöpfer agieren könnte?

Für die meisten Menschen ist alleine schon so eine Überlegung reine Ketzerei und undenkbar – weil die meisten, auch, wenn sie es nicht wissen, so stark konditioniert sind, dass sie „Gott“ als eine externe Übermacht ansehen. Das ist kulturell so tief eingeprägt, dass es sehr lange dauern würde, um das zu löschen – wenn überhaupt, hätte man wohl am ehesten bei Kindern Erfolg. Erwachsene kommen da kaum wieder raus – die hängen so sehr in ihren Vorstellungen drin, dass deren Vernichtung wie der eigene Tod erscheint.

Wenn man aber wirklich erlebt und erkannt hat, dass es gar nichts anderes gibt, als die Leere, den Schöpfer und die Schöpfungsebene – wo ist da noch Ketzerei? Der Schöpfer / die Quelle will offensichtlich mehr individuelle Vielfalt und Gesellschaft in sich selbst schaffen und erzeugt dazu dieses gigantische Feuerwerk, genannt Leben.

Das ist die einzig logische Antwort und diese Antwort spiegelt sich auch in der Entwicklung des Lebens wider: Das Leben ist immer Entropie-abbauend und Struktur-aufbauend. Und da stets gilt, „wie oben so unten„, muss sich auch die Quelle weiter entwickeln – und wenn man wissen will, was in der Quelle vor sich geht, muss man nur auf ihre Emanationen schauen: die Schöpfung, das Leben, die Natur, die Universen…

Wir alle schauen ununterbrochen auf „Gott“ oder die Quelle, wir laufen darin herum, atmen sie ein und aus, essen sie – und scheißen drauf… Alles, was wir in der Erscheinungs-Welt denken, planen und tun, ist nichts anderes, als eine Bewegung im universellen Bewusstsein der Quelle und völlig belanglos. Das ändert sich in genau dem Moment, wenn wir uns umwenden und beginnen nach innen zu wachsen – dann beginnt unser wirkliches Leben. Denn Leben ist innen, nicht außen – „außen“ sind nur Bilder von Leben…