Fühlen des eigenen Bewusstseins

Ich weiß noch, als ich das erste Mal das Buch „Ich bin“ von Maharaj gelesen habe. Dort hieß es, man solle das Gefühl „ich bin“ beobachten und immer dabei bleiben. Das Problem damals war aber, dass ich dieses Gefühl nicht fühlen konnte. Da war alles mögliche: Gedanken, Körpergefühle, Seh-Eindrücke, Geräusche, Gerüche – aber kein „Gefühl ich bin„. Heute weiß ich, woran das lag – ich war damals so sehr im Verstand, dass ich keine einzige Sekunde Ruhe hatte. Die Maschine arbeitete mit voller Kraft, Rund um die Uhr, solange der Körper wach war.

Wie ist das heute? Ich muss dieses Gefühl nicht mehr suchen, es auch nicht gedanklich wissen oder in Erinnerung rufen: da ist ununterbrochen das Gefühl „ich bin“ und ich weiß es. Ich kann dieses Gefühl der eigenen Existenz nicht nur jeden Augenblick fühlen – ich bin identisch damit, es ist untrennbar mit mir selbst verbunden. Es gehört zu mir, es ist das ursprüngliche Wissen, dass ich existiere. Ohne dieses Wissen gäbe es mich nicht, gäbe es gar nichts. Warum? Es heißt Bewusst-Sein, weil es, um zu existieren, sich eines Inhaltes bewusst sein muss. Bewusstsein ohne Inhalt ist vollkommen leer und sinnlos, wie der Hauptspeicher und der Prozessor eines stromlosen Computers.

Das muss auch der Grund sein, warum das Bewusstsein nach der Zeugung zum erstbesten Inhalt greift, um sich damit zu identifizieren – dem Körper. Später wird dann der Verstandesinhalt zum wichtigsten Inhalt des Bewusstseins.

Offenbar kann kaum jemand dieses Gefühl fühlen, das eigene Bewusstsein zu sein. Das kann daran liegen, dass das Bewusstsein schlicht und einfach mit Informationen bis zum Bersten gefüllt ist, so wie es bei mir war. Es kann auch sein, dass die meisten Menschen keine Energie fühlen können. Und ohne diese Fähigkeit, Energieströme, energetische Potentiale und Zustände in sich selbst zu fühlen, gibt es keine wirkliche Erkenntnis von sich selbst. Man kann soviel lesen, wie man will – solange man es nicht wirklich fühlt, ist das alles sinnlos.

Bei mir war es zu Beginn so, dass da nur Präsenz war und sonst nichts. Ich fühlte mich zwar klar im Kopfraum, wusste, dass ich da war – aber nicht, was ich war und wo im Kopfraum ich genau war. Da war nur das klare, friedvolle Gefühl: „ich bin da„. Aber irgendwann fühlte ich mich zunehmend unwohl, irgend etwas fehlte, war nicht in Ordnung und schließlich fand ich das Gesuchte. Das Gesuchte sind die feinen Gefühle der einzelnen ICH-Zentren und deren Zustände – die energetischen Heimatorte meines Bewusstseins, das ICH BIN. Hinzu kommt die Fähigkeit, die innere Aufmerksamkeit zu aktivieren und zu dirigieren und damit die einzelnen Zentren absichtlich zu erkennen und zu verkörpern.

Dazu gehört auch das horizontale und vertikale Loslassen der Zentren, in Richtung Absolutes. Wer all das nicht weiß und/oder nicht kann, der wird sich niemals wirklich selbst erfahren können. Der wird vielleicht erkennen, dass es in ihm impulsiv und unbeherrschbar denkt und dass er identisch mit Bewusstsein ist – aber er wird es nicht fühlen können, er wird sich nicht fühlen können. Und damit weiß er auch nicht, wer oder was er ist – oder nur unvollständig. Aber nur unvollständig zu wissen, was ich bin, das reicht nicht aus. Es heißt Selbst-Erkenntnis, weil es die vollständige Erkenntnis und Durchdringung dessen beinhaltet, was ich selbst bin.

Und wenn man die Bücher von Maharaj aufmerksam durchliest, dann merkt man recht schnell, dass er es auch nicht komplett wusste. Er identifizierte sich mit dem Absoluten, der Grundlage und dem Ursprung seines Bewusstseins – aber er war sich seiner eigenen energetischen Zentren nicht bewusst. Seine Intention war immer, möglichst schnell den Körper und diese leidvolle Existenz zu verlassen, durch den Hinterkopf in Richtung universelles Bewusstsein.

Aber er war stabil im Kopf und konnte sein Denken beherrschen, das wurde deutlich, als er sagte, dass er auch noch hin und wieder Wünsche und Gedanken hat – die er aber meist sofort fallen lässt. Das kann nur jemand tun, der mindestens ein Zentrum verkörpert hat und damit eine gewisse Stabilität, einen Ankerpunkt, einen Hebel, der es möglich macht, die Denkvorgänge nicht nur zu beobachten, sondern zu beherrschen. Das ist genau das, was ich oben beschrieben habe: das Bewusstsein muss etwas fühlen können und wenn es sich selbst fühlt, wenn auch nur zu einem geringen Teil, dann wird es nicht mehr das Denken oder Außeneindrücke benutzen müssen, um sich zu identifizieren – dann identifiziert es sich mit sich selbst – und erst dann können die Außeneindrücke und das Denken fallen gelassen werden.

Die Quelle jedes individuellen Bewusstseins und jeglicher Erscheinung ist das Absolute – das ist völlig klar. Aber wer nur danach strebt, das Absolute zu erkennen und zu erreichen und sich selbst übergeht, der wird beim Erreichen des Absoluten nicht mehr wissen, wer er ist. Er wird seine Identität verlieren und restlos im Absoluten aufgehen. Das dürfte ähnlich sein, wie bei einem Normalmenschen, der von diesen Dingen ohnehin nichts weiß.

Woraus besteht aber dann der Sinn dieser Existenz-Kreisläufe, wenn nicht aus individueller Erkenntnis und individuellem Wachstum? Die Quelle von allem ist omnipotent – sie muss sich nicht entwickeln, da sie bereits vollständig alle möglichen und unmöglichen Potentiale enthält. Die Quelle ist unendlicher Geist, der alles ausdrücken und erzeugen kann – sie bräuchte diese Erkenntnisse nicht.

Aber wir brauchen sie, wir die individuellen Bewusstseins-Bestandteile, die wir in der Quelle entstanden sind und existieren. Wir sind dazu erzeugt worden, uns selbst – trotz oder wegen aller widrigen Umstände – als individuelles, göttliches Bewusstsein zu erkennen und zu entwickeln. Wir sind nicht dazu erzeugt worden, zu existieren, zu leiden und am Ende mit genauso wenig Selbsterkenntnis aufgelöst zu werden, wie wir erzeugt wurden. Wir sind dazu erzeugt wurden, zu erkennen, dass wir geistigen Ursprungs sind und uns in diesen Ursprung hinein immer weiter zu entwickeln, als individuelles geistiges Wesen innerhalb der Quelle. Das ist unser individueller Beitrag, dazu, den inneren Strukturierungsgrad der Quelle zu erhöhen.

Das alles hat nichts mit einer Angst vor dem Tod zu tun – ich habe keine Angst vor dem Tod mehr – ich bin identisch mit dem Leben und dem Tod. Der Tod – das ist die Existenz als Mensch, der am Ende mit absoluter Sicherheit sterben muss – und das Leben, das bin ich, das individuelle Bewusstsein, das „den Tod“ in sich trägt und ausdrückt in Form des inneren, virtuellen Universums und des sterblichen Körpers, der darin existiert.

Die Auflösung im Absoluten dürfte ein Bewusstsein ohne Identität nicht bemerken. Es ändert sich ja nichts – das Bewusstsein eines Normalmenschen verliert im „Tod des Körpers“ allen Inhalt, was bedeutet, dass es keinerlei Struktur mehr aufweist und deshalb eins mit dem unstrukturierten Geist der Quelle wird. Ein entwickeltes Bewusstsein besitzt jedoch Identität und Struktur und damit einen klaren Unterschied zum unstrukturierten Geist und wenn es daran festhalten kann, dann kann es sich nicht in unstrukturierten Geist auflösen, sondern behält seine getrennte Identität.

Innerhalb der Quelle dürfte dabei praktisch nichts passieren, denn bereits während der kurzen Zeitspanne des menschlichen Lebens war das Bewusstsein ja schon strukturell/informell getrennt vom Rest. Ein Bewusstsein mit intakter Identität und Struktur bleibt daher wahrscheinlich einfach funktionsfähig, beim „physischen Tod des Erscheinungs-Wesens„. Es verbindet sich nicht mit dem unstrukturierten Teil der Quelle. Es kommt weder eine Informationseinheit dazu, noch fällt eine weg. Der Bewusstseins-Prozess läuft einfach weiter, da er eine gültige Identität und intakte Informationsstruktur aufweist.

Man kann das sehr gut mit den Vorgängen in einem Computer vergleichen, auf dem ja ebenfalls virtuelle Prozesse ablaufen. Solange ein Computer-Prozess einen gültigen Namen (Identität) hat und eine intakte Struktur, wird ihm vom Betriebssystem ein getrennter Hauptspeicherbereich zugewiesen und exklusiv reserviert. Er bekommt auch periodisch Zugang zum Prozessor, um den nächsten Teil seiner Prozess-Schritte abzuarbeiten. Ein beendeter oder abgestürzter Prozess dagegen, wird aus dem Hauptspeicher und Prozessor entfernt und seine Informations-Anteile landen im Müll. Datentechnisch nennt man das „Garbage Collect„. Dem Programm tut das nicht „weh„, denn sein Prozess-Leben war ja bereits beendet.