Was ist pure Aufmerksamkeit?

Die nach außen gerichtete Aufmerksamkeit ist jene, die von allen Wesen benutzt wird, um die Umgebung zu scannen und das Überleben zu sichern. Ganz wenige Wesen schauen jemals in sich selbst hinein und werden sich der Vorgänge in sich bewusst. Aber dieses nach „Innen schauen“ ist ebenfalls nichts anderes, als die nach außen gerichtete Aufmerksamkeit – nur die Richtung ist entgegengesetzt.

Die pure Aufmerksamkeit ist kein Sehen und Wahrnehmen, an dem der Beobachter beteiligt ist, sondern ein aus dem bewussten Ich ausstrahlendes Fühlen des inneren Wesens und dessen Bewusstseins. Es ist eine fühlende Aufmerksamkeit, die in der Lage ist, in die Ich-Zentren einzudringen, damit zu verschmelzen, sie von innen heraus zu erleben und durch die dann erfolgende Hingabe die Verbindung zur Quelle herzustellen. Das kann der Beobachter nicht – er kann diese Vorgänge nur von außen registrieren.

Damit das klarer wird, zeige ich das an einem Beispiel: Wenn ich mit dem bewussten Beobachter nach innen auf die Präsenz des bewussten Ich in der Mitte der Stirn schaue, dann habe ich definitiv das Gefühl, dass das Sehzentrum beteiligt ist. Da ist ein Gefühl, als ob etwas „von oben“ auf mich schaut und mich beobachtet.

Gehe ich aber mit der fühlenden Aufmerksamkeit in das bewusste Ich hinein, kommt das Gefühl auf, mit diesem zu verschmelzen. Das ist begleitet von einem Gefühl der Liebe und der Glückseligkeit. Man kann daher auch sagen, dass die reine Aufmerksamkeit dynamisch fließende und fühlende Liebe ist. Der Beobachter kann dabei aktiv sein, muss aber nicht. Wenn ich ganz mit dem bewussten ich verschmelzen möchte, dann entspanne ich den Beobachter bewusst und lasse ihn nach unten in das bewusste Ich absinken – was ebenfalls das Gefühl des Verschmelzens hervorruft. Dabei wird der bewusste Beobachter deaktiviert und das Gefühl des „von oben Schauens“ erlischt.

Der Beobachter ist eine Funktion des bewussten Ich und für unser Überleben wichtig. Aber er kann das innere Wesen nicht umarmen und damit verschmelzen und es von innen heraus erleben. Er kann diese Vorgänge nur beobachten. Der Beobachter kann die Zentren auch nicht aktivieren – alles, was mit den Ich-Zentren und dem inneren Wesen zu tun hat, kann nur von der fühlenden Aufmerksamkeit/Liebe getan werden, die spürbar dem bewussten Ich entspringt. Der Beobachter kann dabei zusehen oder auch nicht – aber er ist immer nur der Beobachter, nicht der Akteur – das zu verstehen ist sehr wichtig.

Hier wird auch klar, warum Menschen, die in einem Zustand jenseits des Verstandes angelangt sind und sich als schwebend und nicht wirklich individuell existent erleben, nicht erkennen können, was sie wirklich sind. Sie schauen mit dem Auge des Beobachters nach innen und können nichts sehen, außer Schwärze und chaotische Gedanken und Gefühle. So jemand muss sich darüber klar werden, dass er das innere Wesen sucht, dass er es nicht sehen, sondern nur fühlen kann und beabsichtigen, es zu fühlen.

Dazu könnte er zum Beispiel langsam und klar denken: „Ich bin hier.“ oder „Wo bin ich?“ Und dann versuchen, zu fühlen, wo der Gedanke aufkommt und in diesen Ort und die dortige Präsenz hinein zu entspannen und loszulassen. Die Präsenz, die dann erlebt wird und mit der man verschmelzen sollte, ist das bewusste Ich. Und das Fühlen, das man benutzt hat, um das bewusste Ich zu identifizieren und damit zu verschmelzen, ist die pure Aufmerksamkeit.

Es gibt zwei Formen des Beobachters: Zum einen den unbewussten Beobachter, wie er in den meisten Menschen aktiv ist und vom Unterbewusstsein willkürlich aktiviert wird. Und zum anderen den bewussten Beobachter, welcher derselbe Beobachter ist aber vom bewussten Ich aus bewusst aktiviert, deaktiviert oder mit dem bewussten Ich verschmolzen und deaktiviert wird. Im Zusammenhang mit dem unbewussten Beobachters tritt meist chaotische und impulsive Gedankentätigkeit auf – wohingegen beim bewussten Beobachter, der vom bewussten Ich aus gesteuert wird, nur bewusste und gesteuerte Gedankentätigkeit auftritt.

An der überwiegenden Art der Gedankentätigkeit kann daher jeder sehr gut erkennen, ob er tatsächlich mit dem inneren Wesen in Kontakt steht oder nicht. Wer das bewusste Ich total verkörpert und mit ihm verschmilzt, wird sofort bemerken, dass die Gedankentätigkeit stoppt. Das ist so, weil das Unterbewusstsein genau die gleiche Energie benötigt, die bei der Verkörperung in das bewusste Ich kanalisiert wird. Und die gleiche Energie kann nur entweder in ein bewusstes Zentrum fließen oder in ein unbewusstes. Diese Art der Gedankenbeherrschung ist ungleich eleganter und einfacher, als diejenige, die ich selbst erfolgreich benutzt habe.

Und noch etwas: es ist ein Ammenmärchen, dass es so etwas wie einen „getrennten Verstand“ gibt, der „selbstständig denken“ kann. Der Verstand ist ein Werkzeug und es muss immer jemanden geben, der dieses Werkzeug bedient, damit es in der Lage ist zu denken. Dieser Jemand, das bewusste Ich, ist entweder bewusst und verkörpert und daher in der Lage, den Verstand zu beherrschen – oder er ist unbewusst oder inaktiv und daher wird der Verstand vom Unterbewusstsein beherrscht und für dessen eigene Zwecke eingesetzt.

Wer also „den Verstand“ für seine chaotischen Gedankengänge verantwortlich macht und ächtet, merkt nicht, dass er einen Hammer dafür verantwortlich macht, dass er auf den Amboss schlägt. Der Schmied, der den Hammer hält, entgeht dem Ankläger dabei, weil er ihn nicht erkennt. Wer also über seinen chaotischen Verstand jammert, der beschwert sich in Wirklichkeit über sein nicht aktives inneres Wesen, seine mangelnde Bewusstheit und deren mangelnde Kontinuität. Ein wirklich bewusster Mensch, der sein bewusstes Ich aktiviert hat und es ständig verkörpert, kann während dessen keine ungewollten Gedanken haben. Das ist meine tägliche Erfahrung.

Wer chaotische und nicht beherrschbare Gedanken- und Gefühlsprozesse in sich erlebt, dessen bewusstes Ich (conscious me) ist nicht genügend entwickelt oder noch nicht aktiviert. Das ist auch kein Wunder, denn mit einem solchen inneren Chaos ist es annähernd unmöglich, das bewusste Ich zu fokussieren, zu erkennen und zu erwecken. Dies betrifft die große Mehrzahl aller Wesen – mehr als 99,99%.

Es gibt somit drei, nahezu unüberbrückbare Hindernisse für das Entstehen echter Selbsterkenntnis: das ständige innere Chaos, das fehlende Wissen über die Existenz des inneren Wesens, seine Struktur und Form – und den fehlenden Willen, sein wahres inneres Wesen zu erkennen.