Die Buddha-Natur

„[…] Dieser reine Geist, die Quelle von allem, scheint für immer und auf alle mit dem Glanz seiner eigenen Vollendung. Aber die Menschen in der Welt werden dessen nicht gewahr, da sie nur das für Geist halten, was sieht, hört fühlt und weiß. Durch eigenes Sehen, Hören, Fühlen und Wissen geblendet, erkennen sie nicht die geistige Herrlichkeit der Quellsubstanz. Doch würden sie endlich alles begriffliche Denken in einem Augenblick abwerfen, dann würde sich diese Quellsubstanz manifestieren, wie die Sonne, die in der Leere aufsteigt und das ganze Weltall ohne Hindernis oder Schranken erleuchtet. Wenn ihr Schüler des Weges durch. Sehen, Hören, Fühlen und Erkennen Fortschritte zu erreichen sucht, dann werdet ihr, wenn euch die Wahrnehmungen genommen werden, vom Weg zum Geist abgeschnitten, und ihr werdet nirgends Eintritt finden.

Ihr müsst nur gewahr werden, dass der Wahre-Geist, auch wenn er sich in diesen Wahrnehmungen ausdrückt, weder Teil von ihnen noch von ihnen getrennt ist. Ihr dürft aus diesen Wahrnehmungen keine Schlüsse ziehen noch begriffliche Gedanken entstehen lassen. Aber ebenso wenig solltet ihr den Einen Geist außerhalb dieser Wahrnehmungen suchen oder sie auf eurer Suche nach dem Dharma aufgeben.Behaltet sie nicht, gebt sie auch nicht auf, wohnt nicht in ihnen und haftet nicht an ihnen. Über, unter und um euch ist alles augenblicklich aus dem Geist geschaffenes Sein; nichts ist außerhalb des Buddha-Geistes.“ […] Quelle

Das obige Zitat aus dem Buch „Der Geist des Zen“ von Huang Po, zeigt auf, wie es aussieht, wenn man jenseits des Verstandes angelangt ist. Der Verfasser will mit diesem Text sagen, dass jeder bereits dieser Geist ist – was natürlich vollkommen richtig ist, weil es gar nichts anderes gibt, als diesen Geist. Dummerweise ist es nicht so einfach, dieses unmittelbare und gefühlte Wissen zu haben – und nicht nur einmal, sondern ununterbrochen. Genauso wenig ist es für einen normalen Menschen möglich, den Verstand einfach so zu beherrschen – denn das ist die unumgängliche Voraussetzung dafür, die Stille halten zu können in der dieser Geist erkannt wird. Ohne Stille keine Erkenntnis – oder anders herum: im Erkenntnismoment gibt es keine Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen. Jedoch ist ein Erkenntnis-Moment nur ein kurzer Augenblick – dauernde Erleuchtung ist die Ausdehnung dieses Erkenntnis-Momentes in die Unendlichkeit.

Was ist diese Stille oder Leere? Sie zeigt sich im Raum zwischen zwei Gedanken. Dieser Raum ist leer – da ist nur die Präsenz, die erkennt, dass dieser Raum leer ist. Aber dieser Raum ist nicht identisch mit der Quelle – er ist, wie alles andere auch, in der Quelle – aber er ist nicht identisch mit der Quelle. Das zu glauben ist ein Fehler! Die Quelle ist unendlich viel mehr, als nur der Raum zwischen den Gedanken. Im Raum zwischen den Gedanken besteht die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis, besteht die Möglichkeit herauszufinden: Wer ist es, der da präsent ist? Wo ist derjenige? Aus welcher Richtung schaut er? Wie ist er? Ist er nur flach, wie die einfache Präsenz oder tiefer und aus mehr Dimensionen bestehend? […]

Das sind alles nur Worte und die sagen rein gar nichts aus über die tatsächlichen Qualitäten des Geistes aus. Fakt ist eines: ohne einen fundamentalen Durchbruch vom Normalzustand in einen Zustand jenseits des Verstandes kann niemand diese Worte verstehen. Nach diesem Durchbruch, der gemeinhin „Erleuchtung“ genannt wird, von mir aber Türöffner, besteht die Möglichkeit, diesen Zustand zu erforschen. Huang Po weist zurecht darauf hin, dass es keine Aktionen gibt, die dazu führen, dass einer wird, was er bereits ist. Damit meint er, dass man den plötzlichen Durchbruch dahin, dies zu erkennen, nicht „machen“ kann, sondern dass einem dies geschieht. Aber auch das kann man erst dann sagen, wenn man bereits in diesem Zustand ist.

Diesen Fehler begehen beinahe alle, weil sie sich nicht mehr an die vielen Irrungen, Wirrungen und Mühen zurück erinnern, wenn sie „angelangt“ sind. Es wirkt dann alles so natürlich und klar und man kann sich nicht mehr vorstellen, wie das vorher war. Es ist, wie wenn man auf dem Gipfel eines Berges steht – gigantische Weitsicht, Klarheit, die Wolken und der Nebel liegen unter einem und sind so dicht, dass man gar nicht mehr sieht und erkennt, dass man auf dem Gipfel des Mount Everest steht. Aber wie kommt man da hin? Durch Klettern, mit dem Hubschrauber oder durch Teleportation.

Es ist falsch anzunehmen, dass man „einfach so“ dahin kommt und dass jeder schon da ist! Es ist falsch und es funktioniert nicht! Wäre das so, dann gäbe es nur „Erleuchtete“ auf dieser Welt – die gibt es aber noch nicht mal unter den sogenannten „Gurus“ oder „Satsang-Lehrern“. Die sind weder erleuchtet, noch klug – die merken noch nicht einmal, dass ein echter Mensch sie nicht anhören kann, ohne dass ihm übel wird. Aber das merken wiederum deren Anhänger nicht und so geschieht es ihnen Recht, dass sie von ihren „Gurus“ über den Tisch gezogen werden. Ich habe keinerlei Mitleid – weder mit den Leuten, die auf dem Podium hocken, noch mit denen, die ihnen zu Füßen sitzen. Sie alle sind einfach nur Bestandteile der Masse und sie verhalten sich auch genau so.

Es gibt so viele Möglichkeiten, jenseits des Verstandes zu kommen, wie es Menschen gibt, weil jeder anders ist. Aber wenn einer „dort“ angekommen ist, dann beginnt sein „Weg“ erst – vorher ist da nichts. Aus was besteht der „Weg“? Aus der Erkundung und Inbesitznahme dessen, was einer ist. Zu sagen: „Ich bin der große, eine Geist“ oder „ich bin der Zeuge“ und es damit gut sein zu lassen, zeigt, dass derjenige nicht weiß, dass dieser Geist aus vielen Teilen und Dimensionen besteht, die in ihm selbst gefunden, belebt und besetzt werden wollen. Ich wusste das auch nicht – aber ich fühlte es.

Für mich ist ein fester Zustand jenseits des Verstandes keine Erleuchtung – das ist für mich lediglich eine offene Tür und eine Aufforderung, hindurch zu gehen und das Terrain zu erkunden – das ich bin. Und mittlerweile weiß ich, dass dieses Terrain sehr viel umfangreicher ist, als das einfache Gefühl, ununterbrochen präsent zu sein und den Verstand zu beherrschen.

Die Selbstwerdung ist ein sehr langer Prozess – und endet damit, dass man seine wirkliche Individualität entdeckt, innerhalb dessen, was was man schon immer war und immer sein wird. Das Sein ist nicht einfach eine gleichbleibende, eindimensionale und lokale Präsenz – das Sein ist multidimensional. Und diese Dimensionen wollen ausgelotet werden – aber nichts davon befindet sich außerhalb – alle Teile dieses Prozesses sind und entfalten sich in einem selbst.

Advaita, Zen, Buddhismus, Dzogchen und alle anderen Selbsterkenntnis-Richtungen hören viel zu früh auf. Sie alle bezeichnen den Status hinter dem Verstand bereits als Erleuchtung. Ich erlebte das definitiv anders! Ich erlebte die normale, dauerhafte Präsenz die „Zeuge“ genannt wird, als flach (eindimensional). Das war der Grund, warum ich händeringend nach Informationen suchte, um über diesen flachen und unbefriedigenden Zustand hinaus zu kommen. Es mag sein, dass dies den meisten genügt – mir genügt das nicht. Für mich ist wirkliche Erleuchtung erst der Endzustand, nachdem ich die gesamte Multi-Dimensionalität meiner wahren Individualität erweckt und erforscht habe. Da bin ich definitiv (noch) nicht. Der Endzustand ist auch nicht gleichbedeutend mit der Zerstörung des Egos – sondern mit seiner Integration in das Gesamtwesen.

Logischerweise ist auch die Selbsterkenntnis nichts anderes, als ein Teil des von selbst ablaufenden, universellen Geschehens. Aus dieser Sicht könnte man sagen, dass man gar nichts zu tun braucht. Wenn nun in dem von selbst ablaufendem Geschehen von einem Menschen etwas in Richtung Selbsterkenntnis getan wird, dann sieht das so aus, als ob sich da einer bemüht – und man könnte ihn einen Dummkopf nennen, denn „er ist doch schon der Geist„! In Wirklichkeit ist da nur der Geist, der so tut, als ob er ein Mensch ist, der versucht, ganz zu werden… Wie man es auch dreht und wendet – es gibt weder etwas falsches, noch schlechtes – alles geschieht genau so, wie es geschehen muss. ALLES.

Wenn daher, aus der eigenen Sicht heraus, etwas als falsch erscheint – dann ist nicht das Geschehen falsch, sondern die Sicht darauf. Das gilt für mich, genauso, wie für jedes andere Wesen.