Warum stören Gedanken?

Prinzipiell sind Gedanken nichts schlechtes. Sie entsprechen Objekten, die genauso aus Bewusst-Sein bestehen, wie alle anderen Wahnehmungs-Objekte auch. Das Problem besteht noch nicht einmal in den Gedanken selbst, sondern in ihren Eigenschaften im Vergleich zum nicht wahrnehmbaren Hintergrund, auf dem sie erscheinen und darin, dass der Mensch verlernt hat, direkt wahrzunehmen und seine Wahrnehmungen durch Gedanken über Wahrnehmungen ersetzt hat.

Die Probleme existieren nur bei den Menschen, die diesen Hintergrund nicht kennen und/oder nicht festhalten können und statt dessen hilflos im Gewirr ihrer Gedankenkonstrukte, Gefühle, Emotionen und Wahrnehmungs-Objekte verstrickt sind. Solche Menschen existieren wie in einem Traum, sie sind völlig in mentalen Prozessen versunken, vollkommen abwesend, obwohl sie scheinbar wach sind und sich bewegen. Präsenzgrad: 0%.

Wer gelernt hat, die Gedanken kommen und wieder gehen zu lassen und sich dabei ununterbrochen seiner selbst, also des gedankenfreien Hintergrundes, bewusst bleibt, hat keinerlei Probleme mit Gedanken. Allerdings liegt hier der Schwerpunkt ganz klar darauf, die Aufmerksamkeit immer auf den inneren Raum zu richten und nicht auf der Beschäftigung mit Gedanken! Wer sich trotz der Fähigkeit den Hintergrund festhalten zu können, dazu hinreißen lässt, immer wieder in Gedanken zu versacken, ist im absolut gleichen Zustand, wie ein Normalmensch! Daher ist es am sichersten, die Aufmerksamkeit stets voll auf den inneren Raum zu richten und damit alle Gedanken mühelos zu vertreiben. Präsenzgrad: 100%.

bewusstsein

Der mit menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbare Hintergrund (1) ist das wahre aber verborgene, wesenhafte Selbst. Die Gedanken (2) sind gegenüber diesem hauchzarten, durchscheinenden Hintergrund massiv und schwer und aufgrund der suchthaften Gewohnheit alles und jedes in Unmengen an Gedanken zu ersticken und ständig wiederzukäuen, wie eine Kuh ihren Mageninhalt, ist es nahezu unmöglich, den Hintergrund zu erkennen. Darum wird der denkende Verstand auch der Mörder des Selbst genannt. Um also das Selbst zu entdecken, muss man zeitweise den Verstand ermorden. Ermorden deshalb, weil der Verstand nur dann existiert, wenn in ihm ein Inhalt ist. Ein leerer Verstand ist praktisch tot und transparent – und übrig bleibt nur das Selbst-Bewusst-Sein.

Ruhen die Gedanken aufgrund des Lauschens auf den inneren Ton oder des Festhaltens eines einzelnen Gedankens, wie zB die Frage: „Wer bin ich?“, dann findet „man“ sich plötzlich in einem weiten, stillen „Raum“, (1) der völlig gedankenfrei ist. Dieser „stille Raum“ ist der Hintergrund, auf dem die Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen erscheinen – er ist das Selbst-Bewusst-Sein. Wer diesen Raum festhalten kann, dabei hellwach bleibt und gleichzeitig Objekte (3) wahrnehmen kann und sich dabei ständig bewusst ist, das Selbst zu sein (ohne daran zu denken), dem wird sich das verborgene Selbst „von selbst“ offenbaren. Das ist alles, was nötig ist.

Man kann diesen Hintergrund – das wahre Selbst – aber weder durch Lesen, noch mit Diskussionen oder Philosophieren erkennen, sondern ausschließlich durch Praxis und persönliche Erfahrungen! In sehr seltenen Fällen öffnet es sich auch scheinbar völlig unvorbereiteten Menschen und verwandelt sie völlig – aber das passiert vielleicht einem von 10 Milliarden (Maharshi, Segal). Daher sind alle Diskussionen vor einer persönlichen Erfahrung sinnlos – und danach unnötig.

Allerdings scheint es recht selten zu sein, dass jemand in der Lage ist, vollkommen gedankenfrei zu sein. Ich dachte immer, dass das jedem möglich sein sollte, weil es mir möglich ist und „ich“ ganz bestimmt nichts besonderes bin. Aber aufgrund diverser Hinweise musste ich erkennen, dass dem nicht so ist. Den Shiva-Sutras (Seite 41) entnahm ich zB folgendes: „Die Wirklichkeit ist nicht etwas, das erreicht, sondern entdeckt werden muss.  Doch die Crux dabei ist: Wie erreicht man, dass sich die vikalpas (Gedanken, mentale Konstrukte), mit denen der Verstand erfüllt ist, zurückziehen? Abhinavagupta sagt: Solange es vikalpas gibt, nimm sie weder an, noch weise sie zurück, sie werden sich von selbst zurück ziehen und Du wirst Dich als das erkennen, was Du bist.  Dies ist eine kunstlose Kunst.  Sie ist ohne Anstrengung, spontan. Dieser Sambhavopaya ist sowohl das einfachste Mittel, als auch das schwierigste. Es ist das einfachste, weil keine besondere Anstrengung oder Disziplin dabei gebraucht wird. Es ist das schwierigste, weil das Herstellen von vikalpas eine Gewohnheit ist, sie sind das Leben des Verstandes. Wenn man versucht, gedankenfrei zu sein, stellt der Verstand sofort alle möglichen Arten von vikalpas her. Zu versuchen gedankenfrei zu sein, ist wie zu versuchen aus der eigenen Haut herauszuspringen. Es ist nur wenigen Sterblichen gegeben, gedankenfrei zu sein.

Vielleicht stellt aber der Weg über den inneren Ton eine Ausnahme dar, denn der ist wirklich extrem einfach und hat bei mir gleich beim ersten Versuch funktioniert. Wer diese einfachen Mittel nicht benutzen kann, der kann sich Saktopaya, Anavopaya oder Meditation & Co zuwenden.